Als vor sieben, acht Monaten die Ankündigung hereintrudelte, John Cleese würde sein Soloprogramm "Last Time To See Me Before I Die" in eine weitere Verlängerung schicken und es gäbe u.a. einen erneuten Termin in Berlin, habe ich keine Sekunde gezögert, obwohl die Karten fast 90 Euro kosteten. Cleese ist ein Urgestein der Comedy, war Mitglied der erst im Jahr 2014 - nach 45 Jahren - offiziell aufgelösten Komikertruppe "Monty Python" (fünf der sechs Pythons leben noch), aber auch für unglaublich viele andere, witzige Dinge zuständig, von "Ein Fisch namens Wanda" bis hin zu "Fawlty Towers".
Er ist achtzig. Deshalb hängen im Zuschauerraum drei riesige Fernseher, die als Teleprompter dienen, die aber auch von vielen Zuschauern genutzt werden, um zu verstehen, worum es gerade geht. Man muss schon ganz schön sattelfest im Alltagsenglischen sein, um jeden Gag zu kapieren.
Aber von vorne.
Das Publikum ist mittelalt bis recht alt, aber es sind auch viele jüngere Nerds darunter, offenbar sehr viele Briten, der Frauenanteil ist niedrig, vielleicht bei 25 Prozent. Die schöne Location ist ausverkauft. Irgendwo habe ich Oliver Kalkofe gesehen, und noch ein paar andere, relativ bekannte Gesichter.
Auf der Bühne steht ein Bistrotisch, daneben ein Barhocker, dahinter eine Leinwand mit einem Foto von Cleese und dem Namen des Programms. Und einem Grabstein: "John Cleese - 1939 - 201?". Daran erkennt man, dass das Programm schon ein paar Jahre läuft. Falls es noch eine Verlängerung gibt, muss der Grabstein ausgewechselt werden.
Während des Programms darf nicht fotografiert werden, und alle halten sich daran. Auf den Fotos würde man einen John Cleese sehen, der etwas älter ist als der auf der Leinwand. Er trägt Turnschuhe, Jeans, ein labbriges Poloshirt und eine Art Sakko. Seine Bauchkugel ist gut zu erkennen, vor allem bei Verbeugungen.
Er spricht schnell und nicht immer gut verständlich, er ist sehr sympathisch, aber auch ein Vollprofi. Das wird sich gleich zeigen. Ganz am Anfang erzählt er kurz davon, wie es ist, berühmt zu sein. Zuerst, wenn man es noch liebt, wenn man angesprochen wird, was man später dann nicht mehr so toll findet, bis es einem irgendwann auf den Zeiger geht und man die Leute zum Teufel wünscht, die Selfies machen wollen. Damit wir das alle hinter uns haben, sprechen wir im Chor einen Text mit, der auf der Leinwand angezeigt wird. Wir erklären, wie toll wie es finden, Cleese zu sehen, und dass wir seine größten Fans sind und so weiter. Das endet natürlich mit einer Pointe, und ist irgendwie ganz witzig.
Dann kommt ein bisschen Standup. Cleese liest von den Promptern ab, aber er kann das so gut, dass es recht spontan rüberkommt. Leider versagen die Prompter. Erst flackert es, dann kehren die Texte zurück, Cleese macht weiter, dann bricht es wieder zusammen. Der Mann nimmt es mit Fassung, improvisiert ein bisschen, erzählt davon, wie er in Australien mal eine Pause überbrücken musste, und die hat er genutzt, um Publikumsfragen zu beantworten. Eine Frau hat ihn mit der absolut ernstgemeinten Frage überrascht, welches Teil eines Flugzeugs er gerne wäre, wenn er sich das aussuchen könnte. Nach einer Weile des Überlegens lautete die Antwort: Der Joystick im Cockpit.
Aber die Prompter fangen sich nicht wieder, und er kann nicht ohne sie, erklärt er, weil er eben schon achtzig ist und alles vergisst, nur den Namen "Alzheimer" nicht. Die Techniker übernehmen, das Programm wird für eine Viertelstunde unterbrochen. Cleese entschuldigt sich und verschwindet, Kabel werden neu verlegt, dann geht es an der gleichen Stelle weiter.
Das Programm dauert netto zwei Stunden. Cleese erzählt, wie Monty Python entstand, wie die Ideen entwickelt wurden, welche Rolle die BBC gespielt hat. Er erzählt davon, wie "Life of Brian" geboren wurde, und dass der Film eigentlich nicht die Religionen kritisiert, sondern ihre Anhänger, die sich jeden Scheiß verkaufen lassen, von Leuten, die Scheiß verkaufen, im Namen der Religion. Es gibt immer wieder Einspieler, mal ganz lustige, mal etwas angestaubte, aber das hier ist ja auch kein normales Comedyprogramm, sondern eine Huldigung. Deshalb verzeiht man auch, dass einige Witze schon ein paar Tage auf dem Buckel haben und dass es an Spontanietät fehlt, von der Zwangspause am Anfang abgesehen.
Cleese ist für sein Alter immer noch sehr fit, er bewegt sich vergleichsweise viel auf der Bühne, bleibt auch, wenn längere Einspieler laufen. Er ist charmant und sehr britisch, er war ein Revolutionär. Ich mag - von all den Dingen, die er für die Komik geleistet hat, abgesehen - vor allem sein energisches Eintreten gegen die politische Korrektheit in der Kunst (ich habe das kürzlich fürs "Literaturcafé" thematisiert - bitte nicht die Kommentare lesen!), aber ich bin natürlich hier, um eine lebende Legende zu sehen, bevor sie tatsächlich stirbt. Das Programm endet auch mit dem Thema "Tod", und Cleese erzählt ganz zum Schluss davon, wie die verbliebenen Pythons zehn Jahre nach dem Tod von Graham Chapman (der 1989 im Alter von nur 48 Jahren starb) zu einem Festival in Aspen, Colorado eingeladen waren. Er berichtet, dass sie Graham unbedingt dabeihaben wollten, also haben sie bei seinem Ex-Freund die Urne mit der Asche geholt. Bei der Talkrunde in Aspen stand sie auf dem Tisch - und was dann passierte, kann man ab ungefähr 8:50 in diesem Video sehen.
Der Applaus am Ende war lang und herzlich. Das war ein sehr persönlicher Applaus. Das Programm selbst war, na ja, okay. Routiniert, sicher, freundlich, unspektakulär, manchmal ein bisschen altbacken. Eine - durchaus sehr schöne - Fanveranstaltung eben. Aber es haben auch einige im Publikum deutlich gezuckt, als Cleese Juden- und Schwarzenwitze erzählte, zwischen Franzosen-, Italiener-, Briten-, Deutschen- und Griechenwitzen. Witze, die sich über Klischees lustig machen und niemanden diskriminieren oder diskreditieren. Diese Situation zeigte deutlich, in welche grundfalsche Richtung unser Vorsichtsdenken gerade geht.
Ich würd's mir nicht noch einmal antun, aber es war erhaben, feierlich, und auf dezente Weise selbstironisch.