Oscar Wilde - Das Bildnis des Dorian Gray

  • 15. Kapitel


    Zitat

    Vielleicht sieht man nie so ruhig aus, als wenn man eine Rolle zu spielen hat.


    Möglicherweise ist das die Erklärung für meine Frage im vorigen Kapitel, warum mir Dorians Gefühle so fern sind.


    Im Laufe des Abends bei Lady Narborough wird offensichtlich, dass Dorian ein Problem hat.



    Was es mit dieser „grünen Paste“ auf sich hat, habe ich in der Leserunde zu diesem Buch entdeckt.

  • 16. Kapitel


    Was für ein Umschwung!


    Dorian erkennt, dass seine Seele „krank zum Tode“ ist und dass Vergebung unmöglich ist. Es bleibt für ihn nur das Vergessen.

    Ich glaube nicht, dass Dorian Reue empfindet und das Unrecht einsieht, das er getan hat. In seinen Gedanken heißt es nicht: Oh, Gott! Was hab ich getan! Ich habe Basil getötet.

    Da heißt es nur: „Unschuldiges Blut war vergossen worden.“ Und außerdem sei ja Basil selbst Schuld daran. Mit welchem Recht habe er so zu ihm gesprochen. Auch an Sibyls Tod fühlt er sich nicht schuldig.


    Und jetzt schlägt er ins völlige Gegenteil um. Es ergreift ihn eine Sucht zu leben. Während er früher die Hässlichkeit abgelehnt hat, „weil sie die Dinge wirklich machte“, will er jetzt genau diese Wirklichkeit. Das ist das wahre Leben.

    Aber ist denn nicht die echte Wirklichkeit beides, Schönheit und Hässlichkeit?


    Ich frage mich, wer die Frau ist, die Sibyls Kosenamen für ihn, „Prinz Wunderhold“, erwähnt. Woher kennt sie diesen Namen? Zuerst dachte ich, es wäre Sibyls Mutter. Aber ich verstehe James so, dass sie nicht mehr lebt.


    Am Ende war es ziemlich knapp für Dorian, als James ihn umbringen wollte. Dass ihm dieser rettende Gedanke kam! Erstaunlich in dieser Situation, finde ich. Oder war gerade diese lebensbedrohende Situation der Auslöser für diesen Gedankenblitz?


    Es wird auch eine psychologische Erklärung für die Ursache von Sünde geliefert: der wilde Trieb hemmt den freien Willen, tötet das Gewissen oder spornt zur Auflehnung an.

  • 17. Kapitel


    Eine Woche später scheint sich Dorian von dem Schrecken erholt zu haben, er gibt eine Gesellschaft. Wobei ich eher vermute, er hat dies getan, um sich abzulenken, und das scheint auch gut zu funktionieren.


    Dieses Wortgeplänkel zwischen Lord Henry und der Herzogin nervt mich. Ja, es ist ein Spiel zwischen ihnen, und wenn man sonst keine geistigen Herausforderungen hat, macht es eben Spaß.


    Aber dann der Schock: Sibyls Bruder James taucht auf.

    Ich frage mich, wie er ihn gefunden hat.

  • 18. Kapitel (1. Teil)


    Das ist wieder ein tolles Kapitel. Dorian durchlebt eine Achterbahn der Gefühle!


    Zuerst hat ihn eine „wilde Angst vor dem Tod“ gepackt, es ist von vergeblichen Vorsätzen und wilder Reue die Rede.

    Aber schon setzt eine Abwehrreaktion ein. Er fragt sich, ob er sich das nur eingebildet hat. Ich denke, das ist eine ganz normale Reaktion bei so heftigen Ereignissen. Man zweifelt seine eigenen Sinne und Verstand an, denkt, es ist alles nur ein böser Traum, aus dem man gleich aufwachen werde.


    Der Leser bekommt diesen wunderschönen Satz geschenkt:

    Zitat

    „Die Phantasie hetzte den Gewissensbiss gegen die flüchtigen Füße der Sünde.“


    Da kommt mir eine Schlange vor mein inneres Auge.


    Ich finde es typisch für Dorian: Obwohl er mittlerweise überzeugt ist, dass ihm die Phantasie einen Streich gespielt hat, ist er so verzweifelt, dass er herzzerbrechend weint, aber nicht aus Reue, sondern nur aus Angst, dieses „schreckliche Hirngespinst“ werde ihn für den Rest seines Lebens verfolgen. Es geht wieder einmal nur um ihn, er hat sich überhaupt nicht geändert.

  • 18. Kapitel (2. Teil)


    Doch Dorian beruhigt sich.


    Dann kommt die Szene mit dem Hasen. Dorian will verhindern, dass der erschossen wird. Da dachte ich mir für kurze Zeit: Endlich zeigt er Empathie! Die Ernüchterung kam schnell, ihn beeindruckt nur die „graziöse Bewegung des Tieres“. Wieder einmal geht es ihm nur um Schönheit.


    Aber schon wieder ist es mit der Ruhe vorbei. Es wird ein Mann erschossen (wie hässlich!). Dorian hat wieder Todesangst.

    Doch es stellt sich heraus, dass ausgerechnet James Vane der Tote ist. Dorian ist gerettet.


    Dieser außergewöhnliche Zufall wirkt auf mich, als ob hier von einem Wesen außerhalb unserer Welt etwas inszeniert wird und Dorian eine Figur aus einem Theaterstück ist, das da gerade gezeigt wird. Wer ist der Autor?


    Lord Henrys Äußerung zu dieser Tötung ist haarsträubend:

    Zitat

    „Wenn nun aber Geoffrey es absichtlich getan hätte, wie interessant wäre er! Ich möchte gern jemanden kennen, der einen wirklichen Mord begangen hat.“

  • 19. Kapitel


    Dorian will jetzt also gut werden. Haben ihn die letzten Ereignisse aufgerüttelt? Oder ist es so, dass ihn eher die Hässlichkeit als die Schlechtigkeit seiner Seele stört?

    Will Dorian nur deshalb gut werden, weil es gut rüberkommt? Ich glaube fast, ja. Basils Ermordung jedenfalls scheint ihn nicht mehr sehr zu berühren.


    Dorian tastet sich bei Lord Henry heran, wie der dazu stehen würde, dass er Basil umgebracht hat. Zuerst dachte ich, das soll das eine Beichte werden. Wars wohl aber nicht. Vielleicht wollte er nur imponieren.

    Für eine Beichte hätte er sich auch den Falschen ausgesucht. Lord Henry ist kein Freund, mit dem man über die Dinge reden, die einen belasten.

    Für Lord Henry ist ja auch alles ganz einfach: Es gibt keinen Willen, alles wird von Zellen und Nerven bestimmt.

    Dabei hätte er merken müssen, dass etwas an Dorian nagt.

    Ich habe den Eindruck, er hat irgendetwas vor.


    Ich glaube, zum Nachdenken hat ihn Lord Henrys Aussage gebracht, dass ein Mensch, der einmal getötet hat, es noch einmal tun könnte.

  • 20. Kapitel


    Was für ein Ende!


    Damit habe ich ja nie gerechnet. Dass Dorian am Ende des Buches nicht mehr lebt, ist jetzt nicht so ganz überraschend. Ich habe erwartet, dass er entweder von einem anderen umgebracht wird, er sich selbst umbringt, im Gefängnis landet etc., aber nicht, dass er sich unabsichtlich selbst tötet.


    Sicher war es für Dorian ein Schock, als das Bild ihm zeigte, dass sein Wunsch gut zu werden nur von Eitelkeit und Heuchelei herrührte. Um für die Zukunft seinen Frieden zu finden, muss er dieses Bild, das ihm wie ein Gewissen war, zerstören.


    Aber was ist eigentlich passiert, als Dorian sein Bild zerstörte? Ist seine Seele zu ihm zurückgekehrt, und ist er deshalb alt geworden? Und gleichzeitig mit der Seele hat er sich selbst getötet?

  • Fazit:


    Ein tolles Buch, das ich sehr gerne gelesen habe, manche Abschnitte auch zwei- oder dreimal. Eine wunderbare Sprache und die überspitzten Formulierungen des Lord Henry machen Freude. Es entsteht ein Bild der damaligen Gesellschaft, das fast eine Karikatur ist.


    Ich habe meine Zweifel, dass die Seele einem im Gesicht geschrieben steht, wie Basil sagt. Und genau darum geht es in dem Buch. Ich will das aber im übertragenen Sinn sehen. Es geht wohl darum, wie andere mich sehen und wie sehr mich das bei meinen Handlungen beeinflusst. Es ist wohl unbestreitbar, dass man einiges, was man gerne tun möchte, bleiben lässt, um nicht „sein Gesicht zu verlieren“.

    Dorian konnte sein wahres Gesicht und mit ihm auch sein Gewissen „auslagern“. Somit konnte er „die Sau rauslassen“, ohne sein Ansehen zu verlieren.


    Offen bleiben allerdings einige Fragen. Bis zu welchem Grad formt das Umfeld eines Menschen sein Gewissen oder wie weit ist es angeboren? Wie weit kann man sich ändern? Es heißt nicht umsonst, man kann nicht aus seiner Haut. Warum will man sich ändern? Wie frei ist der Wille?

  • So, jetzt habe ich das Buch ebenfalls vorliegen. Ich habe die schöne Penguin Classics Ausgabe von 2008 und werde die diversen Einführungstexte erst später lesen. Nur die kurze Anmerkung zur Textausgabe habe ich gelesen.

    Jetzt schon interessant finde ich die Anmerkungen hinten, die mir helfen, die Atmosphäre in der englischen Gesellschaft zur Zeit Wildes besser zu verstehen. So wird gleich im ersten Kapitel ausführlich zu "the Grosvenor" und "the Gallery" berichtet.


    Der Prolog zeigt mir gleich, warum ich Wilde so gerne mag. Er hat ja nicht immer recht, aber wie er Dinge sagt, das ist einfach treffend und schön.


    Und dann in Kapitel 1 - warum Schönheit und Intellekt sich ausschließen... :) gefolgt von der Spitze gegen Kirchenmänner, das begeistert mich gleich.


    Zudem habe ich in den Tiefen des Schranks meine uralte Schulausgabe mit meinen Notizen drin gefunden - damit werde ich auch viel Spaß haben!

  • Noch zum ersten Kapitel


    Offenbar ist in englischen Gärten so einiges möglich, was es hier nicht so gibt. Der Duft von Rosen gleichzeitig mit dem von Flieder - aber wer weiß, wozu englische Gärtner alles fähig sind.


    Ich denke, die Aussagen im Vorwort sind die Meinung von Oscar Wilde und nicht unbedingt die Basils. Vermutlich ist beides wahr. Basil hat viel von seiner Liebe zu Dorian in seinem Werk ausgedrückt. Trotzdem heißt das nicht, dass andere das überhaupt bemerken.


    2. Kapitel


    Ein guter Freund ist der Lord sicher nicht. Es ist sogar richtig hinterhältig, was er da mit Dorian und mit Basil anstellt.

    Er argumentiert sehr geschickt, auch wenn ich nicht seiner Meinung bin. Diese Verherrlichung von Schönheit lässt mich schaudern.

    Der Effekt seiner Ausführungen auf Dorian ist erschreckend und zeigt, wie raffiniert der Lord seine Fäden gesponnen hat.

  • Ich überlege gerade, ob man Lord Henry mit Mephisto vergleichen kann. Beide versuchen einem anderen zu den Genüssen des Lebens zu verhelfen. Und ich kann mir auch vorstellen, dass Lord Henry so eine Art Wette mit sich selbst abgeschlossen hat.

    Das ist ein Gedanke, der mir schon oft durch den Sinn gegangen ist.


    Vor allem ist Henry aber ein Hedonist, wie man ihn besser kaum zeichnen könnte. Er lebt nur für sich und seine Freude, seinen Genuss, seine Begierden. Und eine seiner Freuden ist es, Einfluss auf Dorian auszuüben.