Im Licht der Zeit – Edgar Rai

  • Verlag: Piper, 2019

    512 Seiten

    978-3-492-05886-5


    Kurzbeschreibung:

    Frühjahr 1929: Alle Welt redet nur noch vom Tonfilm, der in Amerika längst die Kino-Paläste erobert hat. Deutschland aber droht den Anschluss zu verlieren. Nun soll die mächtige Ufa das Land zurück an die Spitze führen, koste es, was es wolle. Ein halbes Jahr später hat der geniale Karl Vollmöller fast alles beisammen: das modernste Tonfilmstudio, einen grandiosen Stoff, den gefeierten Oscar-Preisträger Emil Jannings, der soeben glorreich aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrt ist, und den perfekten Regisseur. »Der blaue Engel« wird nicht einfach nur ein Tonfilm sein, er wird ein neues Zeitalter einläuten, davon ist Vollmöller überzeugt. Nur die Hauptdarstellerin fehlt noch. Wer soll die abgründige Figur der Rosa Fröhlich verkörpern, die den biederen Professor ins Unglück stürzt? Etwa Marlene Dietrich? Als Revuegirl ist sie eine Klasse für sich, sie bietet Leichtigkeit, Unterhaltung, zeigt nackte Haut. Aber sie besitzt keinerlei schauspielerisches Talent!


    Über den Autor:

    Edgar Rai, geboren 1967, wurde mehrerer Schulen verwiesen, ging ein Jahr nach Amerika und studierte Musikwissenschaften und Anglistik in Marburg und Berlin. Er arbeitete unter anderem als Drehbuchautor, Basketballtrainer, Chorleiter, Handwerker und Onlineredakteur. Seit 2001 ist er freier Schriftsteller und hat neben weiteren die Romane «Nächsten Sommer» und «Etwas bleibt immer» veröffentlicht. Edgar Rai hat drei Kinder und lebt in Berlin.


    Mein Eindruck:

    Das ist ein unterhaltsamer Roman über die Entstehung des berühmten Films Der blaue Engel nach dem Roman Professor Unrat von Heinrich Mann.

    Ihn zu realisieren war kein leichtes Unterfangen. Es bedeutete der Karrierestart für Marlene Dietrich, die bald danach in Hollywood gefragt war und für Hauptdarsteller Emil Jannings ein Comeback und eine seiner besten Rollen.


    Mich hat das Thema sehr interessiert, da ich auch den Film und das Buch mochte.


    Ich kann nicht beurteilen, inwieweit alle geschilderten Szenen wirklich so abliefen, über die Recherchearbeit Edgar Rais schreibt er auf der Verlags-Homepage. Ich vermute dennoch, einige Passagen sind Spekulation, aber das nur im Bereich des Erlaubten. Immerhin ist es in erster Linie ein Unterhaltungsroman, keine Dokumentation.


    Edgar Rai gelingt es, den Figuren Profil zu geben. Bei den Dialogen, besonders bei denen mit dem exzentrischen Emil Jannings, gibt es viel Amüsantes.

    Jedoch war es auch der Beginn einer Zeit in Deutschland, die mehr und mehr Deutschnational wurde.


    Der Roman zeigt ein Ereignis im Spiegel seiner Zeit und das gelingt sehr gut. Für Filmfans fast ein muss!


    ASIN/ISBN: 3492058868

  • Während in den USA der Tonfilm die Zuschauer in die Kinos bringt, setzt man in Deutschland immer noch auf den Stummfilm. Doch die politischen Verhältnisse ändern sich und die UFA soll die deutsche Filmbranche an die Spitze bringe. Karl Vollmöller will das unter allen Umständen schaffen. Dabei lässt er sich auf einen Balanceakt ein, dem mehr als einmal ein Absturz droht. Regie soll Josef von Sternberg führen, der auch bei dem Film „The Last Command“ Regie führte, für den Emil Jannings den Oscar erhalten hatte. Doch die beiden sind zerstritten. Vollmöller trickst und verspricht Jannings eine Filmrolle, die es genauso wenig geben wird, wie den Film. Aber auch das Drehbuch bereitet Schwierigkeiten. Dann braucht es auch noch eine Hauptdarstellerin. Einige Damen dürfen zu Probeaufnahmen antreten. Sternberg will Marlene Dietrich, die sich eigentlich als Revuegirl einen Namen gemacht hat, die aber nicht durch schauspielerisches Talent hervorgetreten ist.

    Ich habe vor nicht allzu langer Zeit einen Roman über Marlene Dietrich gelesen und daher war ich auch gleich an diesem Roman interessiert, der noch einmal eine ganz andere Perspektive auf die Entstehung des Films „Der blaue Engel“ wirft. Das Buch hat mich vom ersten Moment an so gepackt, dass ich es nur schwer wieder aus der Hand legen konnte. Man erlebt diesen Tanz auf dem Vulkan mit, der Berlin in den Zwanzigern erfasst hat. Die Nationalsozialisten machen sich immer breiter und bestimmen auch immer mehr das kulturelle Schaffen. An ihnen wäre fast noch im letzten Moment der Film gescheitert.

    Marlene Dietrich war eine beeindruckende Persönlichkeit, die macht was sie will und sich nicht verbiegen lässt. Aber sie hat auch Selbstzweifel und braucht manchmal eine starke Schulter zum Anlehnen. Sternberg will sie führen und muss dann doch feststellen, dass Marlene selbst weiß, wie sie die Rolle anlegen muss. Er lässt sie laufen. Ist es da ein Wunder, dass es Konflikte mit dem großen Emil Jannings gibt? Emil ist von sich sehr überzeugt und will niemanden neben sich dulden, der ihm Aufmerksamkeit entzieht. Mit Zuckerbrot und Peitsche wird er bei der Stange gehalten.

    Am Anfang eines jeden Kapitels gibt es einen Einblick in Politik und Zeitgeschehen.

    Es ist äußerst interessant mitzuerleben, wie geraden in den Zeiten des Umbruchs ein ganz besonderer Film entsteht. Das Buch hat mich gefesselt und ich kann es nur empfehlen.


    10/10

  • Fulminantes Was, perfektes Wie


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    Das Jahr 1929 war für die Deutschen ein in mehrfacher Hinsicht besonders bemerkenswertes. Während viele Berliner vor allem ausgiebig feierten, wofür sie sich das „Koka“ zum Preis von 8 Mark pro Päckchen einfach aus der Apotheke holen konnten, erstarkten die Nazis langsam, aber leider sehr, sehr sicher. Außenminister Gustav Stresemann starb. Und mit dem Stummfilm, quasi dem Fernsehen jener Zeit, ging es dem Ende entgegen. Emil Jannings, der größte männliche Filmstar seiner Epoche, hatte zwar soeben als bislang einziger deutscher Schauspieler einen Oscar bekommen, aber sein anschließend in Amerika produzierter erster Tonfilm war ein Reinfall, weil der narzisstische Jannings, der es liebte, von sich in der dritten Person zu reden, ein Englisch sprach, das nach einer in der Mülltonne eingesperrten Ziege klang. Synchronisation war damals noch nicht möglich; die Tonspur eines Films war mit den Bildern unzertrennlich verbunden. Wenn man einen mehrsprachigen Film herstellen wollte, drehte man ihn auch mehrfach.


    Die Filmproduktionsgesellschaft UFA, nach Fritz Langs zwar gefeiertem, finanziell aber ruinösen „Metropolis“ im Besitz des Medienmoguls Alfred Hugenberg, der außerdem die wichtigsten Zeitungen kontrolliert und Hitler protegiert, baut in Babelsberg hochmoderne, weltweit einzigartige Tonfilmstudios. Dort soll - mit Jannings in der Hauptrolle - der erste deutsche Tonfilm entstehen, und er soll alles Dagewesene in den Schatten stellen. Karl Vollmöller, der als Berater und Co-Autor für das Projekt zuständig ist und die Fäden in den Händen hält, lässt Finanziers und Beteiligte im Glauben, die Geschichte Rasputins würde Thema des Films sein, dabei hat er längst andere Pläne. Zu denen gehört, dass der talentierte Amerikaner Josef von Sternberg Regie führen soll, dabei hat von Sternberg verkündet, er würde mit Jannings in diesem Leben keinen Film mehr machen.

    Aber das Hauptproblem wird sein, die weibliche Hauptrolle zu besetzen, für den Stoff, der Vollmöller längst vorschwebt, nämlich Heinrich Manns „Professor Unrat“.

    Wobei Mann erklärt hat, die Filmrechte für diesen Roman um keinen Preis verkaufen zu wollen.


    Das ist die Ausgangssituation für diesen 520 Seiten starken Pageturner, der sich beim Lesen anfühlt, als wäre er - leider - höchstens halb so lang. Edgar Rai nimmt abwechselnd die Perspektiven einiger Hauptfiguren ein, vor allem die Vollmöllers - und diejenige Marlene Dietrichs, die zu diesem Zeitpunkt zwar als gefeiertes Revue- und Partygirl gilt, aber als Gift für jeden Film. Wir alle wissen, wie diese Geschichte endete, nämlich mit „Der blaue Engel“ und der Weltkarriere der Dietrich, aber Edgar Rai erzählt das so eindringlich, detailreich, spannend, atmosphärisch und überaus geschickt, dass man in jeder Szene mitfiebert, dass man selbst - wie viele der Figuren - bis kurz vor Schluss daran zweifelt, dass dieser Film noch entstehen, noch gelingen, noch ein Erfolg werden kann. Der Autor spart nicht an Personal und lässt viele bekannte Namen jener Zeit auftreten, darunter Claire Waldoff, Erich Kästner und Billy Wilder, aber es sind vor allem Marlene und Vollmöller, die er dabei beobachtet, wie sie mit diesem Projekt wachsen, wie sich Liebesbeziehungen und Privatleben entwickeln. Parallel erzählt er die Geschichte von Henny Porten, der Schauspielerin, die bis zum Aufkommen des Tonfilms den deutschen Film dominiert hat - und die eine kurze Affäre mit der noch jungen Dietrich hatte. Und er erzählt die Geschichte Berlins zu dieser Zeit, mit seinen Feiertempeln und unfassbar vielen Kinos. Jedem Kapitel ist außerdem ein Ausschnitt aus der Berliner Volkszeitung vorangestellt - Ausschnitte, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen, denn einige dieser Texte, die sich mit der NSDAP befassen, würden genauso gut ins Jahr 2019 passen.


    Mit diesem Buch treffen zwei großartige Aspekte aufeinander, nämlich eine wirklich starke, spannende und historisch bedeutsame, fulminante Geschichte - und ein Erzähler, der das in die richtigen Worte gießen kann, der sich dieser faszinierenden Story unterordnet, der sich wie ein Filmregisseur nie selbst zeigt, aber dennoch alles Geschehen führt und beeinflusst. „Im Licht der Zeit“ ist ein perfekt erzählter, hinreißender Roman über die Dietrich, den Film, den Beginn der Nazizeit, die Rolle der Medien hierbei, aber auch über Liebe, Ambivalenz, Selbstverwirklichung und Partnerschaft unter schwierigen Bedingungen.