Anke Stelling: Schäfchen im Trockenen

  • Im Schwabenalter


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    Resi - eigentlich Theresa - ist in den Vierzigern, Mutter von vier Kindern, mit Sven verheiratet, und sie ist Schriftstellerin, aber keine sehr erfolgreiche. Auch der Gatte Sven ist Künstler. Vor allem aber sind die beiden Elternteile kreativ darin, mit wenig Geld zurechtzukommen. Und sie haben das Glück, für die großzügige Wohnung im Berliner Prenzlauer Berg, einem der beliebtesten Umzugsziele der ganzen Republik, nur relativ wenig Miete zahlen zu müssen, denn sie wohnen dort noch auf Franks Mietvertrag. Frank ist einer aus der Clique von Resi, die schon seit vielen Jahren zusammenhält, aber inzwischen sind alle im „Schwabenalter“ angekommen, wo es nicht mehr ums Erleben, sondern ums Sichbequemmachen geht. Und Resi hat die Clique verärgert, weil sie aus Geldnot einen hämischen Zeitschriftenartikel über das Bauprojekt geschrieben hat, an dessen Ende das Wohnhaus für die gesamte Gruppe stehen soll, außer für Resi und Sven, die sich das nicht leisten können.

    Vermutlich als Rache für den Artikel hat Frank jetzt die Wohnung gekündigt, wovon Resi weiß, der Rest der Familie aber noch nicht. Bis zu den Herbstferien, die bald anstehen, muss sie es ihnen aber sagen.


    Anke Stellings aus guten Gründen preisgekrönter Roman ist ein langer innerer Monolog, ein extrem ehrliches Sichauskotzen der Hauptfigur über gesellschaftliche Zwänge, über das Dasein als Muttertier im schlimmsten Sinne des Wortes, über echte und gefühlte Armut - und über die Schwierigkeiten beim fiktionalen Schreiben, das auf autobiografischen Elementen beruht. Diese Themen verbunden mit herrlich skizziertem Personal ergeben ein äußerst kluges, hochironisches, lustiges, wahnsinnig lesbares und beeindruckend authentisch wirkendes Werk, bei dessen Lektüre Nackenkrämpfe drohen, weil man ständig zustimmend mitnickt. Anke Stelling findet die richtigen, nein, die perfekten Worte dafür, wie es ist, wenn die Hauptverantwortung nicht mehr die für das eigene Leben, sondern u.a. die für dasjenige von vier Kindern ist, man also aus der eigenen Sicht in die zweite Reihe rückt. Wie sich das anfühlt, wenn aus Träumen nicht mehr erfüllbare Illusionen werden. Wie man erfolglos versucht, sich über Alltage zu retten, ohne nur noch aus Routine zu bestehen. Wie aus Freunden Rivalen werden, wie sich aus kleinen, lange schwelenden Konflikten plötzlich große werden.

    „Schäfchen im Trockenen“ ist aber auch ein liebenswertes und total lebensbejahendes Buch, allerdings, zugegeben, eher so zwischen den Zeilen. Die Hauptfigur Resi liebt ihre Familie sehr, aber zugleich hasst sie es mehr als nur ein bisschen, was diese Familie aus ihr gemacht hat. Wer also gerade darüber nachdenkt, mit wenig Geld auf der Kante eine Familie zu gründen und mit der dann perspektivisch in Berlin zu leben, und möglicherweise noch innerhalb des S-Bahn-Ringes, der sollte die Finger von „Schäfchen im Trockenen“ lassen.


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