Giosuè Calaciura - Die Kinder des Borgo Vecchio

  • Giosuè Calaciura, 1960 in Palermo geboren, ist Schriftsteller und Journalist. Seine Romane wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Er lebt mit seiner Familie in Rom. Für "Die Kinder des Borgo Vecchio" erhielt er den Premio Volponi.


    • Gebundene Ausgabe: 160 Seiten
    • Verlag: Aufbau Verlag; Auflage: 1. (12. Juli 2019)
    • Sprache: Deutsch
    • ISBN-10: 3351037902
    • ISBN-13: 978-3351037901


    Unschuldig geboren und zu Sündern geworden


    "Der erstrebenswerteste Zustand, meinte der Sündige, wäre der Tod, denn dann könnte man keine Sünden mehr begeh(r)en." (Wolfgang J. Reus)
    Enge Gassen, Wäsche die von den Häusern im Wind flattern, der Geruch nach gebratenem Fleisch oder Brot und Stimmengewirr. Dies ist die Welt von Borgo Vecchio in der Mimmo, Cristofaro und Celeste zu Hause sind. Hier leben eine Vielzahl von Menschen in Armut oder von der Hand in den Mund. So auch Celestes Mutter Carmela, die sich mit Prostitution ihren Unterhalt verdient. Da ihre Wohnung jedoch zu klein ist, muss sie ihre Tochter jedes Mal auf den Balkon schicken, wenn ein Freier kommt. Mimmos Vater ist der Fleischer des Viertels, er betrügt gerne seine Kundschaft, in dem er seine Waage manipuliert. Cristofaros Vater hingegen ist ein Trinker, der regelmäßig jeden Abend seinen Sohn verprügelt. Alle wissen davon, doch keiner tut etwas dagegen. Doch alle drei haben etwas gemeinsam, sie himmeln Totó an einen Ganoven, der so schnell rennt, dass ihn die Polizei nicht schnappen kann. Und er kann besser mit der Pistole umgehen als manch anderer.


    Meine Meinung:
    Das blasse braune Cover mit dem Mann und den zwei Jungen, die wie ich vermute, Spaghetti tragen, passt hervorragend zu dieser Geschichte. Bisher hatte ich noch nie etwas von diesem italienischen Autor aus Palermo gelesen. Er erhielt jedoch für dieses Buch den Premio Volponi, den italienischen, nationalen Literaturpreis für bürgerschaftlichen Engagements. Der Schreibstil ist nicht immer einfach gewesen. Wo ich anfänglich recht schnell gefangen von seinen Schilderung war, wurde dies im Laufe der Geschichte immer schwieriger. Giosuè Calaciura hat eine sehr eigenwillige, bildhafte, fantasievolle Schreibweise, bei der die Dramaturgie bis ins Bodenlose fiel und die mich bei einigen Szenen fraglich zurückließ. Im Nachhinein kann ich hier nur meinem Verständnis zu dieser Geschichte hier berichten, also was ich aus diesem Buch herauslesen konnte. Mit der Geschichte um das Dorf Borgo Vecchio, das es in Wirklichkeit nicht gibt, stellt der Autor eine Art Sündhaftigkeit der Menschen, Religiosität und Erlösung dar. Dabei spielt und wirft er teils mit Worten um sich, wo ich danach regelrecht sprachlos war und ich sofort einige Bilder vor Augen hatte. Dagegen gab es dann jedoch Szenen, die ich überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Zum Beispiel redet Mimmo mit seinem Pferd Naná, das der Vater vor dem Tod der Schlachtbank gerettet hat. Das wäre ja noch gar nicht so grotesk, doch das dieses Pferd auch noch antwortet, bzw. es so dargestellt wird, fand ich dann doch ein wenig skurril. Die Sündhaftigkeit des Dorfes hingegen stellt der Autor hier allerdings sehr gut dar. Dabei ging es um die Todsünden, wie Betrug, Lüge, Ehebruch, Mord, Prostitution, Diebstahl, Ausschweifung (Alkohol), Neid bis hin zum Verrat wie wir es schon von Judas her kennen. Kaum jemand aus diesem Dorf erschien mir, ohne Sünden zu sein. Wie es ja auch schon in der Bibel steht, das niemand ohne Sünde sein werde. Und so erkannte ich in diesem Buch anhand dieser Andeutungen schon einen gewissen roten Faden, den der Autor hier dem Leser mit der Sündhaftigkeit der Menschheit nahebringen wollte. Leider jedoch muss man vieles selbst aus diesem Text heraus interpretieren, da es durch den Autor selbst, lediglich bei Andeutungen und Metaphern blieb. Und so wurde diese anfänglich schöne Geschichte mit der Geburt von Mimmo für mich zu einer wahrlich schweren Geburt. Den dieses Buch liest man nicht ebenso mal nebenher. Nein man muss hierbei schon wirklich ganz bei der Sache sein, damit man auch versteht, was der Autor hier dem Leser mitteilen möchte. Zu guter Letzt blieben wegen der Kürze des Buches auch noch die Charaktere recht oberflächlich. Den bei gerade mal 160 Seiten kann man die Vielzahl der Personen, die diese Geschichte ausmachen, nicht ausführlich darstellen. Das hingegen war natürlich sehr schade, da ich gerade dadurch auch vieles nicht nachvollziehen konnte. Alles in allem sicher eine literarische Besonderheit, die mich jedoch nicht so ergreifen konnte, wie ich gehofft hatte. Deshalb von mir nur 6 Eulen.



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    "Lebe jeden Tag so, als ob du dein ganzes Leben lang nur für diesen einen Tag gelebt hättest."

  • Der Roman "Die Kinder des Borgo Vecchio" von Giosuè Calaciura ist im Juli 2019 im Aufbau Verlag erschienen.


    Die Handlung spielt m.M.n. nach dem 2. Weltkrieg in einer nicht benannten, aber vermutlich in einer süditalienischen Stadt. Es geht hauptsächlich um 3 Kinder, die dort in einfachen Verhältnissen leben und sich durchschlagen müssen.

    Da ist Mimmo, dessen Vater Fleischer ist. Um sich zu bereichern, findet der Vater einen Weg. Dann gibt es Christofaro, der den Frust seines alkoholkranken Vaters immer wieder zu spüren bekommt. Und last but not least Celeste, sie ist die Tochter der Prostituierten Carmela im Viertel.


    Für mich stand die Lebensweise der damaligen Bevölkerung im Mittelpunkt. Was macht diese Armut aus den Menschen, zu was sind sie fähig. Wären sie andere Menschen, wenn sie sich etwas mehr leisten könnten. Vor Augen hatte ich oft das Leben in Neapel aus Ferrantes Büchern.


    Das Geschichte lässt sich einfach lesen, die Sprache ist flüssig und die Personenanzahl überschaubar. Es wird das Leben mehrerer Familien beleuchtet und welche Tricks und Gaunereien sie sich zum Überleben einfallen lassen. Das ist einerseits zwar bitter, aber andererseits ist der Erfindungsreichtum auch wieder witzig.


    Es handelt sich hier um ein sehr kurzes Buch. Die Printausgabe bringt es gerade mal auf 160 Seiten und damit hatte ich ein Problem. Es war nicht unbedingt so, dass ich gerne weitergelesen hätte, denn so sehr konnte mich das Leben dort nicht fesseln, aber durch die Kürze war ein Eintauchen in das Buch nicht gut möglich. Man lernte die Personen kennen, dann waren sie auch schon wieder weg.


    Ich kann das Buch nur bedingt empfehlen, um vielleicht mal kurz mental nach Italien in frühere Zeiten zu reisen. Ansonsten denke ich, gibt es spannendere oder interessantere Bücher aus diesem Genre.


    Auch von mir nur 6/10 Eulenpunkten.

  • "Die Kinder des Borgo Vecchio" von Giosuè Calaciura ist ein eher schmales Buch, das es jedoch in sich hat und dem interessierten Leser einiges abverlangt. Es erschien im Aufbau-Verlag (HC, gebunden, 2019).

    Ort des Geschehens ist ein Viertel namens Borgo Vecchio irgendwo im Süden Italiens; die Menschen sind arm und es gilt das Gesetz der Straße. Hier wachsen die HauptprotagonistInnen Domenico (genannt Mimmo), Christofaro und Celeste auf.


    Mimmo ist der Sohn des Fleischers, der seine Waage manipulierte und die Kunden beim Abwiegen der Mortadella betrügt; Cristofaro hat einen Trinker zum Vater, der ihn allabendlich so verprügelt, dass die Schreie des Jungen das ganze Dorf hört - die Blessuren werden jedoch erfolgreich mit Lügen übertüncht (auch von der Mutter). Celeste's Mutter Carmela ist eine sehr hübsche Frau und die Dorfprostituierte, weshalb das Mädchen in der Arbeitszeit ihrer Mutter (die für die Freier daran zu erkennen ist, ob die Läden geöffnet oder geschlossen sind), stets auf den Balkon ausweichen muss und dort bei Wind und Wetter ausharrt; auch ihre Schulaufgaben dort erledigt. Die Erwachsenen dieses Dorfes lieben es, zu wetten und selbst ein Pferd, das eigentlich nicht mehr für Rennen zu gebrauchen ist (dafür aber sprechen kann), wird ein Opfer der Kaltblütigkeit, die Armut zuweilen aus Menschen macht....

    Es geht nun um die Freundschaft der drei Halbwüchsigen und die Ereignisse im Dorf; um die Solidarität, wenn Polizei anrückt, da die Bewohner allesamt stehlen und auch der Pfarrer hier keine Ausnahme macht; um sintflutartige Regenfälle und illegale Rennen, aber auch um die - und das im Besonderen - Sehnsüchte und Hoffnungen von Mimmo, Cristofaro und Celeste. Ein weiterer Hauptprotagonist taucht auf, der das gleiche Schicksal ereilt, das einst sein Vater hatte - und von dem sich jeder Junge im Dorf wünscht, sein Sohn zu sein, da er eine Pistole besitzt und damit in der Lage ist, die jeweilige Lage zu verändern bzw. zu verbessern...


    Auch die Freunde dieses Mannes stehen hinter ihm, wobei niemand sieht, dass auch er leidet und sich im Grunde ein anderes Leben wünscht. Als er verkündet, seine eigene Situation zu verändern (und damit auch die persönliche Notlage von Cristofaro, Celeste und Carmel, ihrer Mutter, ist es bereits zu spät: Nach dem Verrat durch einen seiner Freunde verändert sich die Situation, jedoch nicht zum Guten.... Einzig zwei junge Menschen werden in der Lage sein, endgültig etwas zum Guten zu verändern und danach die Flucht zu ergreifen, die ihnen mehr Hoffnung schenkt als das Bleiben...


    Der Stil des Autors ist melancholisch und poetisch. In eindringlichen Sätzen versteht er es, die Sehnsüchte und Hoffnungen der Bewohner des Dorfes einzufangen und subtil zu schildern.


    Ein Roman, der betroffen macht und den Leser in ein zeitlos existierendes Milieu entführt, in dem es keine Perspektive, keine Hoffnung auf positive Veränderungen gibt, der Täter und Opfer schmerzhaft zeichnet und die Willkür, die letztere oftmals ausgesetzt sind, wenn sie sich nicht wehren (können). Der jene Kaltblütigkeit zur Schau stellt, die Menschen besitzen können und vor der es nicht immer ein Entkommen gibt. Der Roman zeigt auf erschreckende Weise, wozu Menschen fähig sind, die in die Ecke gedrängt, einzig am persönlichen Gewinn für sich interessiert sind und kein Gerechtigkeitsempfinden mehr existiert. Besonders Nanà, das sprechende Pferd, ist ein Beispiel dafür, das mich entsetzt hat. Calacuira zeigt aber auch bei aller Ausweglosigkeit einen Ausweg: Mut zu haben und die Flucht nach vorne anzutreten, wenn es angezeigt ist. Ich kann das Buch sehr empfehlen und vergebe 4*

  • Die Kinder des Borgo Vecchio - Giosuè Calaciura


    Aufbau Verlag

    Gebundene Ausgabe : 154 Seiten

    OT: Borgo Vecchio

    Aus dem Italienischen von Verena von Koskull.


    Über die Übersetzerin:

    Verena von Koskull, Jahrgang 1970, studierte Italienisch und Englisch in Berlin und Bologna und erhielt 1999 ein Stipendium für die Übersetzerwerkstatt des Literarischen Colloquiums Berlin. Nach mehrjähriger Verlagsarbeit in Italien und Deutschland lebt sie heute als freie Übersetzerin in Berlin.


    Mein Eindruck:

    Der atmosphärische Roman liest sich gut, doch ich war zunächst erstaunt, dass Ort und Zeit nicht direkt benannt werden. Schließlich kann man sich denken, dass es eine Nachkriegsgesellschaft vermutlich in Süditalien ist, wahrscheinlich ein Viertel in Palermo. Die Szenerie erinnert an neorealistische Filme Italiens.


    3 Kinder stehen im Mittelpunkt, Mimmo, Celeste und Christofaro. Leider werden sie als Charaktere nur schwach ausgestaltet. Das ist vielleicht auch der Kürze des Romans geschildert.


    Die Misshandlungen eines Jungen durch seinen versoffenen Vater werden drastisch geschildert, auch wie sie kollektiv geduldet werden, aber auch das Viertel quasi lähmen.


    Sprachlich ist der Roman geschmeidig. Inhaltlich ist er zeitweise packend, auch verstörend was die Gewalt angeht.


    Es gibt aber auch Klischees, z.B. wie die pathetische Legende um Toto, den Räuber, gewoben wird.

    Besser gefällt mir da das Symbol von Nana, dem Rennpferd, das den Kindern wenigstens kurzfristig Hoffnung gibt.


    Am Ende bleibe ich ratlos zurück, was jetzt daraus machen. Als Milieustudie aber nicht schlecht gemacht.



    ASIN/ISBN: 3351037902