'Deutsches Haus' - Seiten 001 - 114

  • Gibt es das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom auch unter Krankschwestern/-pflegern?
    Die Szene im Säuglingszimmer fand ich jedenfalls sehr gruselig.


    Ich verstehe nicht, wieso Jürgen so sehr auf Gehorsam pocht? Seine Eltern und auch sein Vater und seine neue Frau scheinen nicht eine derartige Ehe geführt haben. Und die Andeutung, dass er nicht unschuldig ist, er aber an Eva die Unschuld liebt? Kriegsverbrecher kann er nicht sein, dafür ist er zu jung. Vielleicht ist er in Wirklichkeit homosexuell und er benutzt Eva dafür, um sich "zu heilen" oder zu büßen.

    Die Verlesung der Anklage und die Reaktionen darauf, fand ich aus Evas Sicht sehr gut beschrieben. Ich möchte gerne mehr davon lesen. Evas Liebesleben interessiert mich nur zweitrangig.

  • Wird irgendwo klar, wie alt Eva genau ist? Ganz zu Anfang wird gesagt, dass ihre ältere Schwester 28 ist.

    Ich habe dann mal gerechnet, wenn sie 1963 25 Jahre alt gewesen wäre, wäre sie nur zwei Jahre jünger als meine Mutter.

    Für die war es gar nicht selbstverständlich, einen Beruf zu haben. Sie durfte nichts lernen.

    Insofern finde ich Eva eher außergewöhnlich. Genau wie ihre Schwester.


    Schon gleich beim "Vorstellungsgespräch" mit Jürgen wird klar, dass Evas Vater etwas zu verbergen hat. Auf S. 22 wird gesagt, dass er über seinen Einsatz im Krieg gelogen hat.


    Mir gefällt es gut, eben nicht den Prozess selber zum Hauptthema zu machen, sondern gerade den Umgang der Menschen damit. Wie schwierig das war und wie wenig Unterstützung es für diesen Prozess bei der Bevölkerung gab. Wie mächtig das Tabu war, sich die nächsten Menschen als Mörder vorzustellen.

  • Saiya, das war das damalige Bild, das die meisten Männer von Frauen und von ihrer eigenen Rolle hatten. Der Mann als Herr im Hause.

    Es gab da zwar ein Grundgesetz in dem was von Gleichberechtigung stand.


    Mit echter Gleichberechtigung war es nicht weit her damals.

    Eva hätte als verheiratete Frau ja auch seine Zustimmung zur Berufstätigkeit gebraucht. Auch ein eigenes Bankkonto durften Frauen erst viel später ohne Zustimmung irgendwelcher Männer eröffnen.

  • Saiya, das war das damalige Bild, das die meisten Männer von Frauen und von ihrer eigenen Rolle hatten. Der Mann als Herr im Hause.

    Es gab da zwar ein Grundgesetz in dem was von Gleichberechtigung stand.


    Mit echter Gleichberechtigung war es nicht weit her damals.

    Eva hätte als verheiratete Frau ja auch seine Zustimmung zur Berufstätigkeit gebraucht. Auch ein eigenes Bankkonto durften Frauen erst viel später ohne Zustimmung irgendwelcher Männer eröffnen.

    Das ist mir alles bekannt bzw. bewusst. Ich vermute trotzdem, dass Jürgen auch noch andere Gründe hat.

    Meine Großmütter Jahrgang 31 und 32 haben alle "etwas gelernt" bzw. in der Landwirtschaft arbeiten müssen. Das ist aber natürlich nur mein subjektiver Eindruck.
    Mit typisch für diese Zeit meinte ich auch eher, dieses Streben nach der Ehe als das größte Glück, das es klar ist, dass sie ihren Beruf aufgibt, sobald sie heiratet usw.

  • Nun, Jürgen ist katholisch und wollte eigentlich Pfarrer werden.

    Für mich reicht das als Erklärung schon.


    Und ist es nicht umgekehrt? Eva ist die nicht mehr unschuldige? Jürgens Verhältnis zu Frauen und Sexualität kann eigentlich nur besonders sein.

    Seine Familie war ja auch eine besondere. Vater Kommunist und die Mutter Katholikin, die mit dem Sohn Messe spielt, das finde ich sehr eigenartig.


    Clare hat schon darüber gesprochen, wie gut gewählt der Titel ist. Einmal als Name der Gaststätte und für das "Haus Deutschland".


    Interessant ist auch, dass Eva polnisch spricht. Ausgerechnet. Bisher hat sich keine besondere Verbindung der Familie nach Polen gezeigt.

  • Ob das menschlich ist oder nicht, lasse ich jetzt mal dahingestellt. Es ist zumindest feige, erbärmlich und den Millionen Opfern gegenüber ein weiterer Schlag. Es ist ja nicht so, als hätten alle nicht den Mut gehabt, die Wahrheit zu sehen und zu sagen. Umso dankbarer sollten wir Menschen wie Fritz Bauer und seinen Kollegen sein.

    Wie die drei Affen...Nur nichts sehen, hören und sagen.

    So sehr unterscheidet sich die damalige Zeit gar nicht von unserer heutigen.

  • Ich empfinde übrigens Eva nicht als blondes Dummchen, sondern als sehr typisch für die damalige Zeit.

    Hab ich Dummchen gesagt? Ich meine, ich hätte von Blondchen gesprochen.


    Ich halte sie auch nicht für dumm, nur zu Anfang des Romans recht unbedarft. Viel hat sie zu dem Zeitpunkt ja auch noch nicht erlebt. Was sie allerdings von Anfang an besitzt, ist ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden und viel Empathie für ihre Mitmenschen.

    Ich verstehe nicht, wieso Jürgen so sehr auf Gehorsam pocht? Seine Eltern und auch sein Vater und seine neue Frau scheinen nicht eine derartige Ehe geführt haben. Und die Andeutung, dass er nicht unschuldig ist, er aber an Eva die Unschuld liebt? Kriegsverbrecher kann er nicht sein, dafür ist er zu jung. Vielleicht ist er in Wirklichkeit homosexuell und er benutzt Eva dafür, um sich "zu heilen" oder zu büßen.

    Aus Jürgen werde ich gar nicht schlau. Er gibt sich einerseits modern und weltgewandt, hat aber auf der anderen Seite so konservative Ansichten zur Ehe, dass es einem schlecht wird. Damals stand er damit aber nicht alleine...Obwohl, in den 60ern...:gruebel


    Die Verlesung der Anklage und die Reaktionen darauf, fand ich aus Evas Sicht sehr gut beschrieben. Ich möchte gerne mehr davon lesen. Evas Liebesleben interessiert mich nur zweitrangig.

    Geht mir auch so. Ich finde die Art, wie vom Prozess berichtet wird, gut gemacht. Der Ton wird nicht reißerisch, anklagend. Das Grauen und die Betroffenheit entstehen von selbst in den Zuhörern und auch beim Leser, so dass man manchmal das Gefühl hat, man sitze auch in den Reihen im überfüllten Saal.

    Aber vielleicht greife ich hier vor. Ich empfinde das immer mehr so, je weiter ich im Buch komme.

  • Wird irgendwo klar, wie alt Eva genau ist? Ganz zu Anfang wird gesagt, dass ihre ältere Schwester 28 ist.

    Ich habe dann mal gerechnet, wenn sie 1963 25 Jahre alt gewesen wäre, wäre sie nur zwei Jahre jünger als meine Mutter.

    Für die war es gar nicht selbstverständlich, einen Beruf zu haben. Sie durfte nichts lernen.


    Insofern finde ich Eva eher außergewöhnlich. Genau wie ihre Schwester.

    Danke für diesen Bezug, Rumpelstilzchen

    Im Osten war das anders. Jedes machte eine Lehre, jede Frau ging arbeiten.


    Mit typisch für diese Zeit meinte ich auch eher, dieses Streben nach der Ehe als das größte Glück, das es klar ist, dass sie ihren Beruf aufgibt, sobald sie heiratet usw.

    Für Eva scheint, zumindest zu Anfang, das Wichtigste zu sein unter die Haube zu kommen. Sie setzt so große Hoffnungen daran, verklärt und glorifiziert eine Ehe mit Jürgen.

  • Interessant ist auch, dass Eva polnisch spricht. Ausgerechnet. Bisher hat sich keine besondere Verbindung der Familie nach Polen gezeigt.

    Ich habe mich auch gefragt, wie es dazu kommt, dass sie eine Dolmetscherausbildung gerade für Polnisch gemacht hat. Woher konnte sie Polnisch? Das klärt sich bestimmt noch.;)


    Seine Familie war ja auch eine besondere. Vater Kommunist und die Mutter Katholikin, die mit dem Sohn Messe spielt, das finde ich sehr eigenartig.

    So seltsam ist das mit dem Messe-spielen gar nicht. Ich kenne Katholiken, die so etwas auch aus ihrer Kindheit berichten.

  • Mit anderen Kindern kenne ich das . Da haben wir auch Messe und alles mögliche gespielt. Aber mit der Mutter?

    Jürgen scheint mir noch gar nicht recht zu wissen, was er eigentlich will. Die Priesterausbildung hat er ja wohl nicht aus Überzeugung, dass es für ihn der falsche Weg ist, abgebrochen, sondern wegen der familiären Situation.

    Er scheint da zwischen zwei Welten zu hängen.

  • Hab ich Dummchen gesagt? Ich meine, ich hätte von Blondchen gesprochen.

    Wobei ja Blondchen (Bondinen-Witzen sei Dank) auch nicht gerade als intelligent gelten.;)

    Aus Jürgen werde ich gar nicht schlau. Er gibt sich einerseits modern und weltgewandt, hat aber auf der anderen Seite so konservative Ansichten zur Ehe, dass es einem schlecht wird. Damals stand er damit aber nicht alleine...Obwohl, in den 60ern...

    Jürgen ist ein Kind seiner Zeit. Daher wohl einerseits sein Wunsch nach Modernität aber auch die Sehnsucht, beim Althergebrachten zu bleiben. Seine Vorstellungen von der Ehe sind eigentlich genau dass, was Ende der 50ger Anfang der 60ger auch die Werbung propagiert. Mit der Pille kommt jetzt allerdings der Durchbruch.


    Wenn er wüsste, dass Eva keine Jungfrau mehr ist, dann hätte er sie eh nicht angeschaut, denke ich. Er ist, glaube ich, nicht ehrlich zu sich selber. Weder liebt er Eva noch will er eigentlich heiraten (mal dahingestellt, ob er überhaupt hetero ist). Er denkt wohl, dass wäre einfach so seine Verpflichtung. Und wenn schon, dann halt mit Eva, die kann er sich ziehen. Aber da hat er sich wohl geschnitten. Das merkt er jetzt selbst und scheinbar hat er am Ende doch eingelenkt.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Heumahd - Susanne Betz


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Interessant ist auch, dass Eva polnisch spricht. Ausgerechnet. Bisher hat sich keine besondere Verbindung der Familie nach Polen gezeigt.

    Irgendjemand hat schon vermutet, dass Evas Vater in Ausschwitz war. (FInde gerade nicht, wer). Ich tippe ja darauf, dass die Mutter keinen Brandgeruch mag, weil sie etwas ganz Fürchterliches in einem Lager gerochen hat.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Heumahd - Susanne Betz


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Wobei ja Blondchen (Bondinen-Witzen sei Dank) auch nicht gerade als intelligent gelten.

    Wenn man sie sich ganz zu Anfang des Romans anschaut, dann ist sie, finde ich, genau das. Sie ist naiv, in ihrem Behütetsein fremd der Welt.


    Seine Vorstellungen von der Ehe sind eigentlich genau dass, was Ende der 50ger Anfang der 60ger auch die Werbung propagiert. Mit der Pille kommt jetzt allerdings der Durchbruch.

    So alt, wie ich doch schon bin, kenne ich diese Zeit nur aus Erzählungen oder eben dem Nicht-Erzählen. Über so etwas wurde bei uns nie gesprochen.

    In der DDR war es schon seit den 50ern selbstverständlich und staatlich gewollt und notwendig, dass Frauen auch arbeiten gingen. Rahmenbedingungen dazu wurden schon für mit u.a. flächendeckender Kinderbetreuung geschaffen, und man mag das gut oder schlecht finden: es war eben so. Ich kenne meine Mutter nur arbeitend. Als sie nach meiner Geburt und der meiner Schwester (wir liegen nur 1 Jahr auseinander) etwas länger zu Hause bleiben wollte, damit wir nicht in die Krippe müssen, bekam sie weniger Geld (muss ich sie mal fragen).

    Wenn er wüsste, dass Eva keine Jungfrau mehr ist, dann hätte er sie eh nicht angeschaut, denke ich.

    Über Eva war ich echt erstaunt, darüber, dass sie nicht mehr jungfräulich ist. Später im Buch erfährt man auch, wie es dazu kam. Das hätte ich ihr so nicht zugetraut.

  • Mein Vater war noch ein Ehemann der alten Schule und wollte sehr lange nicht, dass meine Mutter arbeitete. Also nicht, dass er es ihr explizit verboten hätte, aber er fand es gut, dass sie 20 Jahre zuhause blieb und musste sich dann erst daran gewöhnen, als sie tageweise zu arbeiten begang.

    Aber er war auch in anderer Sicht alte Schule. Gentleman, hat meine Mutter auf Händen getragen, war immer für seine Familie da. Er hat später dazu gelernt und dank zweier Töchter langsam umgedacht. Er war halt so erzogen - auch von seiner Mutter

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Heumahd - Susanne Betz


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)