Ewald Arenz - Alte Sorten

  • "Alte Sorten" von Ewald Arenz erschien bei Dumont (geb., HC, 2019) und ist ein absolut lesenswerter Roman über die Lebensgeschichten zweier ungleicher Frauen, die sich gegenseitig helfen können, aus einem problembelasteten Leben einen Ausweg finden zu können und alte Verletzungen zu heilen....


    Wir begegnen zum einen Sarah ( Sally); einer 17jährigen jungen Frau, die aus einer (der vielen) Kliniken entflieht, in denen sie es einfach nicht mehr aushält: Sie rebelliert (nicht ganz zu Unrecht) gegen die Welt der Erwachsenen, der sog. professionellen Helfer, was sich in Essstörungen zeigt und einem sehr negativen Selbstbild. Liss, eine ältere, Mitte40jährige Frau, lebt seit Langem alleine im elterlichen Hof, den sie selbst bewirtschaftet, sich jedoch - umgeben von Büchern - vor der Welt und den Dorfbewohnern, die sie allesamt ausser Anni, der zähen alten Bäuerin, die noch mit 80 Jahren Rad fährt, ablehnen.


    Die beiden begegnen sich zufällig auf dem Weinberg von Liss und nachdem Sally hilft, den Anhänger des Traktors aus dem Graben zu ziehen, bietet Liss ihr spontan an, dass sie auf dem Hof übernachten kann. Sally bemerkt, dass diese Frau anders ist, direkt und offen - und auch wenn sie geraume Zeit "immer auf dem Sprung" ist und an ihre Grenzen stößt, wird aus einer Nacht eine längere Zeit, Wochen.....


    Zeigt sich in Sallys Sprache und Handlungen deren innere Zerrissenheit anfangs, so stellt man nach und nach fest, dass ihr die körperliche Arbeit auf dem Hof gut tut und sie immer mehr in ihrer sensiblen Mitte ankommt: Sie ist intelligent und weiß oft im Voraus, welche Handgriffe beim Kartoffelernten, Keltern, Imkern, Schnapsbrennen und Weinlesen zu tun sind. Behutsam lassen die beiden unterschiedlichen Frauen sich mehr und mehr aufeinander ein, ohne sich einzuengen: Sie helfen sich gegenseitig und gewähren sich dennoch Freiheit, eine neue Erfahrung und nach alten Verletzungen eine heilende für beide! So stellen sich bei der zuvor verstörten Sally erste positive Impulse ein (Gedanken zum Septemberlicht)


    "Es war, als wollte die Welt noch einmal zeigen, wie schön sie sein konnte, wie viele Farben sie hatte, wie frisch sie riechen konnte!" (S. 71)


    Als Septemberkind haben mich diese Zeilen, die auch den intensiven, klaren und prägnanten, dennoch sehr atmosphärischen Schreibstil des Autors kennzeichnen, sehr berührt.


    Der Romantitel bezieht sich auf einen verwilderten alten Garten voller Birnbäume, der von Liss verhasstem Vater angelegt worden war und von deren Bitterkeit zeugt, bevor Sally ihn kurzerhand in einen "Zaubergarten" verwandelt, der wild belassen wurde und jetzt Liss gehört - sie eröffnet damit eine neue, heilsame Perspektive für Liss, die dies "so noch nicht gesehen hatte". Liss, die viele verletzende Erfahrungen in ihrem Leben machen musste, wirkt sehr stark und dennoch auch zerbrechlich


    "Ich würde so gerne erleben, einmal nur, dass ich jemand reicher gehen lassen kann, als er zu mir kommt. Reicher und gesünder". (Zitat Liss S. 174)


    Dieser Roman mit seinen beiden auf ihre jeweils unterschiedliche Art starken Charaktere ist ein intensives Leseerlebnis, da auch der Hof und die Landschaften atmosphärisch dicht beschrieben werden und eigene Bilder im Leser wachrufen. Wird es Sally und Liss gelingen wie bei der Bestäubung der Bienen mit Puderzucker, die "Milben der Vergangenheit" allesamt hinter sich zu lassen, um ein freies, eigenständiges und glückliches Leben zu führen?


    Fazit:



    Ein Roman voller sprachlicher Tiefe, Ewald Arenz verfügt über einen ausgesprochen klaren, schnörkellosen Schreibstil, der alles Unwesentliche bewusst beiseite lässt - dafür aber die Vorstellungskraft und die Sinne des Lesers aktiviert. Eine sehr intensiv erzählte Geschichte über die aufkeimende Freundschaft zwischen zwei verletzten, ungleichen Frauen, die sich einander annähern und denen es durch ungesagte Zuneigung gelingt, einander zu helfen! Emotional, aufwühlend, nachdenklich stimmend - und letztendlich optimistisch. Sehr lesenswert! Daher von mir 5* sowie eine Leseempfehlung.

  • Alte Sorten

    Roman

    DuMont Buchverlag

    Erscheinungstag: 18. März 2019

    Autor: Ewald Arenz

    ISBN 978-3-8321-8448-3

    256 Seiten




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    Alte Sorten - wenn es nach dem Autoren gegangen wäre, so hätte das Buch Oktoberland heißen sollen. - Vermutlich, weil sich im Oktober die Stärke dieser beiden Frauen, um die es in dieser Geschichte geht, vollends entfalten und auf die jeweils andere übertragen kann. Beide sind mit einer Kraft ausgestattet, die man sonst in der Natur findet - wunderschön und von innen heraus.


    Zeitlich spielt das Geschehen in diesem Roman im September und Oktober und umfasst einen Zeitraum von anderthalb Monaten. Einige Rückblenden auf das vorherige Leben werden eingewoben und ermöglichen auf diese Weise, die Protagonisten besser kennenzulernen.


    Die beiden Frauen sind zwar unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Alters, doch ihre Sehnsucht nach Freiheit, dem Bedürfnis der eigenen Wünsche und der Liebe - vor allem der mangelnden - das haben sie gemein.



    Sally ist 17 Jahre alt und bricht aus. Sie bricht aus, aus einem Leben, das sie nicht mehr aushält. Einem Leben nach einem Muster, das nicht zu ihr passt. Eines, das ihre Eltern ihr aussuchen. Doch das ist nicht Sally. So entflieht sie ihrem Elternhaus und trifft auf Liss.



    Liss wollte einst fliehen. Strukturen, die nicht zu ihr passen, aufgezwungen durch ihr Elternhaus - und doch ist sie noch da. Da, wo sie als Kind einst lebte. Dort bewirtschaftet sie ihren Hof, Felder - scheinbar allein. Doch auch, wenn sie ziemlich verschlossen und wortkarg wirkt, braucht sie doch manchmal Hilfe. Und so spricht sie Sally an, als diese am Wegesrand auf sie trifft.



    Da ist ein Erkennen, ein sich-vorsichtig-aus-dem-Weg-gehen und auch ein Verständnis zwischen den beiden Frauen - ohne Fragen mit Antworten, die einfach akzeptiert werden. Ohne große Worte.



    Die Schlichtheit im Schreibstil, die klaren Worte in den schnörkellosen Sätzen - manchmal sind diese Sätze lediglich ein Wort kurz - machen den Reiz der Geschichte nur größer.



    Alte Sorten ist ein Buch, dass man genießen kann. Es verwöhnt mit dieser ruhigen Stimmung, die heimelig wirkt und einen Willkommen heißt. Die Darstellung der Arbeitsabläufe bei der Ernte, die Beschreibung des Handwerkzeugs und die Schilderung der Beschaffenheit von dem Obst und der Natur rundherum wirken sehr eindrücklich auf mich. Ewald Arenz beschreibt beispielsweise die Früchte an den unterschiedlichen Birnenbäumen so nachhaltig, dass ich die Bilder wie aus der eigenen Erinnerung abrufen kann.



    Ein ruhiges Buch, eine Geschichte um zwei starke Frauen, über Strukturen, die das Leben nicht braucht, weil es das Leben einschränkt. Ein Buch, dass ich sehr gern weiterempfehle. Eine Geschichte, die darstellt, dass trotz bitterer Wut und Verwundungen, die einem das Leben zufügt, das Leben auch Glück sein kann.

  • Sally ist wütend. Auf das Leben, die Leute, die ihr sagen wollen, was richtig ist und auch auf sich selbst. Da begegnet sie Liss und das erste Mal ist da ein Mensch, der sie einfach mal machen lässt. Liss lebt alleine auf einem Hof und nimmt Sally bei sich auf. Nach und nach kommen sich die beiden näher und zeigen sich gegenseitig , dass sie viel mehr als dass sind, was sie selbst in sich sehen können.


    Mir hat dieses Buch ausgesprochen gut gefallen. Ewald Arenz nutzt einen sehr bildhaften Schreibstil, der sich auch die jeweils handelnde Person anpasst. Gerade Sally flucht am Anfang unglaublich viel und man merkt an ihrer Ausdrucksweise, wie sie immer mehr mit sich ins Reine kommt. Bei Liss bleibt der Leser die ganze Zeit außen vor, die ist sehr verschlossen. Erst gegen Ende werden ihre Gefühle richtig greifbar.


    Das Buch hat mir tolle Lesestunden beschert und mich mit einem wohligen Gefühl zurück gelassen. Von mir daher eine unbedingte Leseempfehlung!


    10 von 10 Punkte

  • Die siebzehnjährige Sally ist wütend auf die Welt, auf alle, die ihr vorschreiben wollen, was sie zu tun hat. Aber sie ist auch wütend auf sich selbst. Dann begegnet sie Liss. Die ältere Frau fragt sie, ob sie mal eben helfen kann, den Anhänger des Traktors aus dem Graben zu ziehen. So eine einfache Frage wirft Sally etwas aus der Bahn. Ansonsten stellt Liss keine Fragen zu Sally als Person, sondern bietet ihr an, auf ihrem Hof zu übernachten. Es bleibt nicht bei einer Nacht. Liss lebt sehr zurückgezogen und spricht nicht über sich selbst. Doch die Frauen arbeiten gemeinsam und kommen sich näher.

    Dieses Buch habe ich inzwischen schon zweimal gelesen und es hat mich wieder gepackt. Die Sprache ist schnörkellos und doch einnehmend.

    Sally ist abgehauen, weil sie es satt hat, immer die Erwartungen der anderen erfüllen zu sollen. Ihre eigenen Wünsche bleiben dabei auf der Strecke. Das macht sie wütend und hilflos. Sie fühlt sich unverstanden. Dann trifft sie auf Liss, eine Frau, die in sich ruht, aber auch ihre Verletzungen davongetragen hat. Liss hat keine Erwartungen an Sally, sie stellt keine Fragen. Sie nimmt Sally, wie sie ist. Beim gemeinsamen Arbeiten erfährt Sally, dass Bäume in den Himmel wachsen dürfen und die alten Sorten Birnen aussehen dürfen wie Eier. Nichts muss, alles kann.

    Obwohl beide Frauen die andere nichts fragen, kommen sie sich näher und es entsteht eine ungewöhnliche Freundschaft. Irgendwann fühlt Sally sich zugehörig und es fühlt sich richtig und gut für sie an.

    Es ist eine wunderschöne emotionale Geschichte über zwei verletzliche, aber auch starke Frauen, die erfahren, dass mehr in ihnen steckt, als sie selbst erkannt haben.

    Ich liebe dieses Buch und werde es sicherlich noch öfter lesen. Absolute Leseempfehlung!


    10/10

  • Schicksalhaft


    Alte Sorten ist ein Roman von Ewald Arenz, der von zwei Frauen , Sally und Liss erzählt.


    Als Liss mit ihrem Trecker festsitzt, kommt die verdrießliche, mit der Welt und Allen erzürnt des Weges. Sie hilft Liss, dafür bietet die ihr an, die Nacht auf ihrem Hof zu verbringen.

    Der Roman wird von beiden Sichten erzählt.

    Liss hat eine schwere Vergangenheit und ist sehr ruhig.

    Sally ist noch Schülerin mit vielen Problemen.

    Sie hilft Liss. Die baut Wein an, hat Bienen und einen Wald. Für eine Person ist die Arbeit etwas viel. Für Sally ist alles neu.

    Der Autor schildert diese Geschichte leise und einfühlsam.

    Die Schicksale der Beiden sind verschieden, aber gerade dadurch stimmt es bei ihnen.

    Mir gefällt der Roman gut.




  • Endlich frei sein...


    Die siebzehnjährige Sally ist abgehauen, geflohen aus einem Umfeld, das ihr genau vorschreibt, wie sie zu leben hat und ihr keine Luft zum Atmen mehr lässt. Als sie auf die wesentlich ältere Liss trifft und bei ihr auf dem Hof wohnen darf, hat sie endlich die Freiheit, die sie sich immer erträumt hat. Die Arbeit auf den Feldern lenkt sie ab und Liss stellt keine Fragen, doch was für Sally Freiheit bedeutet, war einst für Liss Gefängnis…Ganz langsam nähern sich die zwei Frauen an, deren Schicksale sehr viel gemeinsam haben.


    Sensibel und ungeheuer einfühlsam beschreibt Ewald Arenz seine beiden Hauptfiguren. Die wunderbaren Landschaftsbilder, die er um Liss und Sally zeichnet, der Abschied des Sommers, der Beginn eines Herbstes, lässt beim Lesen eine Stimmung aufkommen, wie sie auch Sally und Liss erleben. Diese Stimmung, diese beeindruckend friedliche Atmosphäre, geht auf uns als Leser über und wir fühlen mit beiden, dass eine Zeit der Heilung und Regeneration für sie gekommen ist und dass sie einander gut tun.


    Welche Geheimnisse beide Frauen verbergen, was sie mit sich herum tragen, offenbart sich nur langsam. Zusammen mit der eindrücklichen Schilderung macht dies den Reiz beim Lesen aus. Ich habe diesen Wohlfühl-Roman sehr gerne gelesen und wünsche ihm viele weitere LeserInnen, denn das hat er auf jeden Fall verdient.


    10/10

  • Der ungewöhnliche Schreibstil hat mich von Beginn an gefesselt und ich habe gern verfolgt wie sich Liss, die einsam auf ihrem Hof lebt und die junge Ausreißerin Sally näher kommen und gegenseitig helfen.

    Und dennoch bin ich mit dem Buch teilweise nicht so richtig warm geworden, ohne dass ich so richtig greifen kann warum. Ich war immer hin- und hergerissen zwischen die Seiten verschlingen und Abschnitte nur zu überfliegen.

    Trotzdem hat mir das Buch gefallen und ich werde bestimmt noch mal was von Ewald Arenz lesen.