Titel: Der Sozialismus und die Seele des Menschen. Ein Essay
Autor: Oscar Wilde
Verlag: Diogenes
Erschienen: Oktober 2004
Seitenzahl: 80
ISBN-10: 325720003X
ISBN-13: 9783257200034
Preis: 10.00 EUR
Ohne Frage ein brillanter Essay.
Gustav Landauer sagte dazu:
«Man wird nun, wo dieser verschollene Essay wieder ans Licht kommt, verstehen, warum die Gesellschaft diesen genialen Mann, der einst ihr verhätschelter Liebling war, so infam ins Elend stieß. Die Rache der Sklaven ist schrecklich,die Rancune der Herren aber unsäglich».
Sicher muss man die Ansichten von Oscar Wilde nicht teilen, aber sie sind es wert sich einfach mal mit ihnen zu beschäftigen. Verblüffend ist die Tiefe seiner Gedanken, seine Argumentation und seine Analyse des menschlichen Handelns.
Oscar Wilde hat den menschlichen Charakter durchschaut – auch ohne Handy, Google oder Wikipedia. Er dachte noch selbst und ließ nicht andere für sich aus Bequemlichkeit denken. Seine Analyse mag sicher nicht vollkommen sein, aber seine Denkansätze geben Denkanstöße der Art, die man heute meist vergeblich sucht.
„Der Roman, den das
Publikum gesund nennt, ist immer ein ungesundes
Produkt; und was
das Publikum einen ungesunden Roman nennt, ist
immer schönes
gesundes Kunstwert.-“
Dieser Essay ist leider auch ein Beweis dafür, wie denkträge die Menschen heutzutage geworden sind, Oberflächlichkeit und Inhaltsleere haben die Macht übernommen, und wenn man das nicht sieht, dann hat man sich eben auch schon diesen Denkzerstörern angeschlossen.
Und man fragt sich unwillkürlich, zu welchem Ergebnis Oscar Wilde gekommen wäre, hätte er beispielsweise das heutige Fernsehprogramm gekannt.
„Bauer sucht Frau“, DSDS oder auch GNTM o.ä, Müll geben ein beredtes Zeugnis von der Dummheit und der Stagnation des menschlichen Denkens.
„Man hat oft gesagt, mit Gewalt lasse sich nichts beweisen. Das hängt jedoch ganz davon ab, was man beweisen will.“
Man wird durch diesen Essay sicher nicht zum Sozialisten, das ist aber auch nicht der Sinn dieses Buches. Das Buch zeigt vielmehr auf, wie wichtig es ist, eine Sache von allen Seiten zu durchdenken – ohne das man dabei auch zwangsläufig zu einem Ergebnis kommen muss.
Es gab vor Jahren mal im Piper-Verlag die Reihe „Lust am Denken“ - und auch dieser Essay von Oscar Wilde animiert ohne Frage dazu, den eigenen Denkapparat mal wieder in Stellung zu bringen.
Die freundliche Sichtweise von Oscar Wilde auf den Sozialismus hätte er sicher revidiert, hätte er in die Zukunft schauen können – aber ein Leben ohne Utopien, ein Leben ohne die Vorstellung was sein könnte – ein solches Leben müsste wahrscheinlich ohne eine wichtige Antriebsvorrichtung gelebt werden.
Ein sehr lesenswertes Buch – aber nur für die, die auch Freude am Denken haben. 9 Eulenpunkte. Unabhängig davon stellt sich für mich die Frage: Macht es Sinn ein solches Buch hier vorzustellen? Nach er Antwort suche ich noch.
Zum Autor:
Oscar Wilde wurde 1854 in Dublin geboren. Wilde studierte erst am Trinity College in Dublin, dann in Oxford, wo er sich mehr und mehr einem Ästhetizismus zuwandte, den er nicht nur in der Kunst, sondern auch im Leben zum Maß aller Dinge machte. 1884 heiratete er in London; zwei Söhne wurden geboren. In den folgenden Jahren entfremdete er sich zunehmend von seiner Frau und wurde sich wohl seiner homoerotischen Neigungen deutlicher bewußt. Gleichzeitig nahm sein Ruhm stetig zu; in rascher Folge entstanden Essays, sein einziger Roman "Das Bildnis des Dorian Gray", die Märchen, Erzählungen und mehrere Theaterstücke. 1895 wurde er wegen seiner Liebesbeziehung zum jungen Lord Alfred Douglas in einen Prozeß mit dessen Vater verwickelt, der ihm zum Verhängnis wurde: Wilde wurde zu Zwangsarbeit verurteilt und war nun gesellschaftlich, aber auch künstlerisch erledigt. 1897 aus seiner Einzelzelle entlassen, floh er nach Frankreich, unternahm noch einige Reisen und starb 1900 resigniert in Paris.