bulbuster Mitglied

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  • Abends war an den Fenstern manchmal richtig was los. Man durfte sich aber nicht erwischen lassen. Das endet sonst mit einer gehörigen Tracht Prügel und danach im Arrest. Die prügeln dich die Treppen runter, bis in den Keller! Ohrenzeuge einer solchen Prügelorgie wurde ich am Sonntagabend. Das Licht war schon ausgeschaltet, als vom Hof her ein richtig wohl klingender Gesang ertönte. Nach der Melodie House of the Rising Sun, von The Animals, sang ein Gefangener das Lied von der Keibelstreet: „Es steht ein Haus in Ost-Berlin, ein Haus weit ab vom Recht. Dort sitzen wir gefangen, ein freier Fan als Knecht. Wir trugen lange Haare, wir liebten Pop und Beat. Nun sitzen wir gefangen, im Haus an der Keibelstreet.“ Nach der dritten Strophe ging der Tanz los. Lauf-Schritte auf dem Gang schließen, Riegelkrachen. Das Klatschen von Gummiknüppeln und Schreie. Und dann hämmerten alle mit ihren Kannen, Bechern und Tassen an die Türen, manche traten wohl auch dagegen. Ein ungeheurer Lärm brach los und auch ich schlug einige Male mit der Kanne gegen die Tür. Nun wusste ich, warum die Blechkanne so verbeult war. Auf dem Gang wurde „Ruhe“ gebrüllt und genauso schnell, wie der Aufstand begonnen hatte, war er wieder beendet. Keiner wollte dem Liedsänger in den Arrest folgen. So ein Rollkommando konnte einen grün und blau schlagen, erzählte mir Peter und unten im Keller ginge es dann erst richtig los. Eine willkommene Abwechslung des Tages bestand aus der Freistunde. Einem U-Häftling stand laut Hausordnung eine Freistunde zu. Diese fand in der UHA Keibelstraße auf dem Dach statt. Das Dach war eigens für diesen Zweck hergerichtet. Eine Flucht über das Dach schien mir allerdings unmöglich. Die Freistunde lief jeden Tag auf gleiche Art und Weise ab. Zuerst wurde an die Tür geschlagen und das Ereignis mit den Worten: Fertig machen zur Freistunde, angekündigt. Man musste seine Jacke anziehen und unter dem Fenster Aufstellung nehmen. Dann hieß es: Raustreten, und alle stellten sich auf dem Gang auf. Die Gefangenen durften ihre Zellentüren selbst schließen und verriegeln was manchmal sehr laut vonstattenging. Irgendein Schließer brüllte dann: Wenn das nicht leiser geht, fällt die Freistunde aus! Wir mussten uns mit dem Gesicht zur Wand neben der Zelle aufstellen. Natürlich wurden die Zellen dann von einem SV Angehörigen richtig verschlossen. Rechts oder links um, und die Karawane setzte sich im Gänsemarsch in Bewegung. Natürlich wurde das Sprechverbot immer wieder übertreten, wenn man sich unbeobachtet fühlte, meistens auf der Treppe. Die Freistunde wurde zum Informationsaustausch und zum Übergeben von Gegenständen, meistens Tabak genutzt. Die Freistunde selbst war dann doch eher langweilig. Zehn Minuten lief man links herum, eine Zellenbelegschaft hinter der anderen mit einer Armlänge Abstand. Zwischendurch lief auch mal einer allein. Dann hieß es: Alles kehrt, und es ging rechts herum. Ab und zu gab es Anweisungen der aufsichtführenden Schließer die sich bei jeder Freistunde in Variationen wiederholten. Abstand halten! Nicht auflaufen! Ruhe! Noch ein Wort und du kannst einlaufen! Lauft nicht auf wie die Schwulen! Du kannst deinem Vordermann ja schon am Arsch riechen, und dergleichen mehr. Trotzdem blieb die Freistunde immer der Höhepunkt des Tages und die Freude darauf war groß. Wären die gelben Sichtschutzwände aus Plastik nicht gewesen, hätte man wohl die Fenster des Interhotels Stadt Berlin sehen können, die Gäste von dort uns aber auch, und das war bestimmt nicht gewollt.
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  • In dem Buch Grenzterror findet sich in der Rahmenhandlung auch Nachstehendes...kürzlich recht scharf kritisiert. Zu Recht?
    Über die Physikerin Dr. Merkel wusste ich, dass sie vor vier Tagen 60 geworden und mit irgendeinem Professor verheiratet war. Den Namen Merkel verdankt sie ihrem ersten Ehemann, den sie sehr geliebt haben muß, denn sie hätte ja nach der Ehescheidung ihren Mädchennamen „Kasner“ wieder annehmen können. Natürlich war sie in der FDJ. Ob sie als Funktionärin nur für Kultur verantwortlich zeichnete, oder für Agitation und Propaganda, wie einige Zeitungen geschrieben hatten, war für mich nicht wichtig. Möglicherweise hat sie ja auch nur die Wandzeitung gestaltet. In jedem Fall war sie Funktionärin und das machte sie mir unsympathisch. Eine gegen die DDR eingestellte Pfarrerstochter hätte allerdings auch weder studieren, noch promovieren können. Ich erinnerte mich noch sehr gut daran, dass sie zehn Tage vor der Bundestagswahl 2002 vor der US Regierung eine Rede hielt, die sie durch mehrere Beiträge in amerikanischen Tageszeitungen vorbereitete. Aufgrund ihrer Äußerungen wurde sie von deutschen Medien und Politikern als „Buschzäpfchen“ bezeichnet, deren „beispiellose Peinlichkeit Ausdruck einer liebedienerischen Haltung, ja einem Bückling, gegenüber der USA sei“. Damit falle sie hunderttausenden Friedensdemonstranten in den Rücken. Von geschmackloser Anbiederei war die Rede und dass sich Klassenstreber seit jeher durch Feigheit und Opportunismus auszeichnen. Sie würde die eigene Regierung im Ausland diffamieren und dem Ansehen Deutschlands schweren Schaden zufügen. Was hatte sie gesagt? Acht europäische Staaten brachten gegenüber der USA ihrer Ergebenheit zum Ausdruck. Sie hätte das für die BRD auch gerne getan. Es sollte keine Blockade zur Militärhilfe für die Türkei geben, da dies die Legitimität der Nato untergrabe. Schröder war da anderer Meinung. Er hatte auch sein Nein zu einer Beteiligung der Bundeswehr am bevorstehenden Irakkrieg unter Federführung der USA deutlich ausgesprochen. Merkel hielt dagegen: Es darf keinen deutschen Sonderweg geben. Die Gefahr durch den Irak sei real und deshalb müsse man mit den USA zusammenarbeiten. Militärische Gewalt sei zwar ein letztes Mittel mit Diktatoren umzugehen, dürfe aber nicht in Frage gestellt werden. „Verantwortliche politische Führung darf niemals den wirklichen Frieden der Zukunft gegen den trügerischen Frieden der Gegenwart eintauschen“. Mit anderen Worten: Wir ziehen an der Seite der USA in den Krieg, indem wir den trügerischen Frieden der Gegenwart durch einen Krieg in einen wirklichen Frieden der Zukunft verwandeln. Ich nannte sie damals auch „Buschzäpfen“ und hielt die Frau für bescheuert.
    Naja, so denken eben FDJlerinnen! Sie hätte bei der Kulturarbeit oder der Wandzeitung bleiben sollen. Günther war völlig überdreht. Genau, das habe ich auch gedacht. Die ist bekloppt! Aber heute weiß ich, dass sie das alles geplant hat. Eiskalt die Frau, Physikerin durch und durch! Von Günther, der sich mit der Biographie von Merkel intensiv beschäftigt hatte, erfuhr ich dann, was ich noch nicht wusste. Merkel war in der Wendezeit dem letzten Ministerpräsidenten der DDR, Lothar de Maizière aufgefallen. 1990 errang Merkel, von de Maizière, der sie später Kohl weiterempfahl, gefördert, ihr erstes Bundestagsmandat. Kohl machte sie 1991 zuerst zur Bundesministerin für Frauen und 1994 zur Umweltministerin. Von 1998 an war sie Generalsekretärin der CDU und ab 2000 Bundesvorsitzende. Sie war es, die maßgeblich zum Sturz ihres Ziehvaters, Helmut Kohl, der durch die Spendenaffäre angeschlagen war, beigetragen hatte. Im Jahr 1999 schrieb sie in der FAZ, dass sich die Partei zutrauen müsse, in Zukunft auch ohne ihr altes Schlachtross Helmut Kohl den Kampf mit dem politischen Gegner aufzunehmen. Der Andenpakt, ein Männerbündnis noch aus den guten alten Zeiten der Jungen Union, dem Günther Oettinger, Roland Koch, Christian Wulff, Friedbert Pflüger, Friedrich Merz, Franz Josef Jung und Matthias Wissmann, angehörten, war was Intrigen angeht, nicht gerade zart besaitet, aber den Ziehvater gegen das Schienenbein treten, das schickte sich nicht. Sie verhinderten erfolgreich Merkels Kanzlerkandidatur zugunsten von Edmund Stoiber. Merkel erkannte messerscharf, dass sie gegen diese geballte Kraft nichts ausrichten konnte und trat zugunsten Stoibers zurück. Damit sicherte sie sich ihre spätere eigene Kanzlerkandidatur. Das legendäre Frühstück von Wolfratshausen mit Stoiber zeigte, wie clever sie vorging.
    Merkel forderte für den Fall des Wahlsieges von Stoiber zwar kein Ministeramt, aber Parteivorsitzende wolle sie unbedingt werden und im Falle der Niederlage strebe sie den Fraktionssitz an. Stoiber sicherte ihr seine Unterstützung zu. Der Wahlausgang am 22.09.2002 war denkbar knapp. In den Umfragen lag die Union über lange Strecken vorne und am Wahlabend mit jeweils 38,5 % gleichauf. Nicht nur die Flutkatastrophe hatte Schröder in die Hände gespielt. Der Auftritt des „Buschzäpfchens“ in den USA war wesentlich bedeutsamer. Welcher Deutsche wollte an der Seite der USA in den Irak-Krieg ziehen? Nicht einmal die alten Rentner, die an ihren Stammtischen die Schlachten von Stalingrad und am Kursker Bogen zum hundertsten Mal erneut schlugen und „General Winter“ und nicht den wahnsinnigen „GröFaz“, den größten Feldherren aller Zeiten und seine Paladine aus Wirtschaft und Militär für den verlorenen 2. Weltkrieg verantwortlich machten, wollten wieder Krieg. Kein schöner Anblick, wenn die eigenen Söhne oder Enkel in Zinksärgen nach Hause kommen. Also gewann Schröder und Stoiber verlor. Was wäre geschehen, wenn Stoiber gewonnen hätte? Er gehörte zwar nicht dem Andenpakt an, aber als Wadenbeißer von Franz Josef Strauß hatte er verinnerlicht, was Loyalität gegenüber dem Ziehvater bedeutet. Er hätte Merkel nie verziehen, dass sie zu Kohls Sturz maßgeblich beigetragen hatte. Parteivorsitzende? Fraktionssitz? Das hätte sie sich abschminken können. Sie wäre in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Nach seiner Niederlage wollte Stoiber kein schlechter Verlierer sein. Er hielt sich an die Zusage, die er Merkel beim Frühstück in Wolfratshausen gegeben hatte. Friedrich Merz, der Schäuble im Fraktionsvorsitz ablöste, trat gegen Merkel an und verlor. Stoiber unterstützte Merkel. Bei der folgenden Bundestagswahl trat sie unangefochten als Kanzlerkandidatin an und löste Schröder, der es erst gar nicht fassen konnte, ab. Günther schlug sich auf die Schenkel und lachte. Hast du den Schröder am Wahlabend in der Glotze gesehen? Ich schüttelte den Kopf. Er würde ja eigentlich auch das Fernsehen meiden, aber das wollte er sich dann doch nicht entgehen lassen. Die Droge, die der intus hatte, die hätte er hier auch gerne! Wie ging es denn nun mit Merkel weiter, fragte ich. Nun, 2004 verhindert Merkel die Kandidatur Schäubles zum Bundespräsidenten. Laurenz Meyer ersetzte sie zunächst durch Roland Koch und widmete sich danach einem nach dem anderen aus dem Andenpakt, dem gegen Merkel agierenden Männerbündnis. Auch Koch kam dran. Alle verschwanden ausnahmslos in der Versenkung.
    Eine eiskalte Politikerin, die Machiavelli nicht nur gelesen, sondern verstanden hat: „Wer seine Ziele ernst nimmt, der muss sich auch die Macht verschaffen wollen, sie durchzusetzen“. Günther sah mich müde an, Nina Hagen und ich klatschten und Günther zog sich in seine Kemenate zurück.