Benjamins Foto Benommen ging Ben auf das Haus zu, die Hand des Polizisten auf der rechten Schulter. Er strebte in Richtung der Seitentür, aber der Mann schubste ihn zum Vordereingang des kleinen Reetdachhauses. Die Hand löste sich von seiner Schulter und schlug kräftig gegen den linken Flügel. Wenn seine Mutter doch bloß da wäre! Ben schloss die Augen. „Sonst“, so hatte ihm der Dorfpolizist gedroht, „sonst kommst du mit auf die Polizeiwache bis deine Mutter dich abholt.“ Bitte, lieber Gott, lass sie da sein! Der Mann klopfte ein zweites Mal. Sie ist nicht da!, schoss es dem verzweifelten Jungen durch den Kopf. Jetzt nimmt er mich mit! Ein drittes Klopfen noch, dann drehte sich der Polizist um. „Komm! Da ist niemand! Und ich habe nicht ewig Zeit!“ Ben bekam es mit der Angst zu tun. Er wollte nicht auf die Wache! Ohne zu wissen, was er tat, schlug er um sich, befreite sich vom Klammergriff des Polizisten und hämmerte mit beiden Fäusten an die Tür. „Mama!“, brüllte er. „Mama! Hilfe!“ „Meine Güte, hast du denn den Verstand verloren?“, schnaubte der Mann und rieb sich den Arm, den Ben empfindlich getroffen hatte. „Komm mit und mach doch nicht so ein Theater, um Gottes Willen!“ Grob packte er ihn an der Schulter und zerrte ihn mit sich zum Gartentor, aber in dem Moment ging die Tür auf. „Ben!“, rief seine Mutter ängstlich aus, während sie sich noch hastig ein Handtuch um die nassen Haare wickelte. „Herr Kunz! Was ist denn passiert?“ „Mutti!“, schrie Ben erleichtert, löste sich von dem Polizisten, rannte zu seiner Mutter und vergrub das Gesicht in ihren Armen. Sie umarmte ihn kurz, schob ihn dann aber von sich. „Darf ich Ihnen einen Tee anbieten, Herr Kunz?“ Einen Augenblick lang schien der Polizist auf das Angebot eingehen zu wollen, aber dann schüttelte er energisch den Kopf und räusperte sich. „Ich bin nicht zum Teetrinken hier, wie Sie sich bestimmt denken können. Es geht um... wie heißt Ihr Sohn noch gleich?“ Das weiß er!, dachte der Junge und ballte die kleinen Fäuste. Das weiß er ganz bestimmt! Jeder kennt meinen Namen. Ben, der kleine Lausbube. Ben mit dem schmutzigen Gesicht. „Ben, was hast du jetzt wieder angestellt?“, rief die Mutter ärgerlich. „Immerzu machst du Ärger!“ Er antwortete nicht, sondern versuchte nur sich noch enger an seine Mutter zu drücken, aber sie schob ihn von sich. „Antworte mir!“, sagte sie scharf. „Was hast du gemacht?“ Polizist Kunz hüstelte. „Er hat versucht in die Bäckerei einzubrechen. Er hat die Fensterscheibe zerbrochen und ist dann hineingestiegen.“ „Das ist nicht wahr“, murmelte Ben leise. Aber sie hörten ihm nicht zu. Dabei stimmte es wirklich nicht. Er hatte die Fensterscheibe nicht zerbrochen. Ein anderer Junge hatte den Ball in das Glas geschossen, aber der Polizist hatte natürlich ihn erwischt. So wie immer. Wenn sie dem Müller Kirschen aus seinem Obstgarten klauten wurde er gefangen, nur er, niemand anders. Wenn sie im Maisfeld des Bauern Räuber und Gendarm spielten, obwohl das verboten war, wer wurde dann erwischt? Ben natürlich. Das war so ungerecht! „Die neue Fensterscheibe für den Bäcker kostet Sie hundert Mark, der Glaser noch mal zehn“, erklärte der Polizist. Bens Mutter neigte ergeben den Kopf. „Gut...“ Herr Kunz zwirbelte an seinem Schnurrbart herum. „Dann sorgen Sie dafür, dass diesem Bengel eine Lektion erteilt wird und ich will mich zufriedengeben.“ Er drehte sich um und eilte den Weg hinab. Die Mutter blieb vor der Haustür stehen bis er verschwunden war. Dann zog sie die großen Türflügel wieder zu und schob ihren Sohn zum Seiteneingang. Zwar sagte sie kein Wort, aber Ben wusste, sie war ihm nicht wirklich böse. Sie musste so tun, wenn der Polizist da war, aber hinterher nahm sie ihn immer in die Arme, schenkte ihm eine Tasse roten Tee ein und sagte, wie lieb sie ihn hatte. Jedes Mal war das so, jedes Mal wenn der Herr Kunz, der Müller oder jemand anders sich über Ben beschwerte. Deshalb trottete er fügsam hinter ihr her in die Küche. Die Mutter schloss die Tür hinter sich und ließ sich mit einem Seufzer auf ihren Stuhl fallen. Dann vergrub sie das Gesicht in den Armen. „Mama?“, flüsterte Ben ängstlich und versuchte sie zu umarmen. „Mama, hab ich dich traurig gemacht?“ „Nein, Ben“, sagte sie leise, sah auf und lächelte traurig. „Wenn du wirklich nicht in die Bäckerei eingebrochen bist.“ „Natürlich nicht!“, sagte Ben laut. „Ben, ich glaube dir immer.“ „Aber wieso hast du dann nichts zum Polizisten gesagt?“ „Damit es nicht noch teurer für uns wird.“ „Teurer? Was meinst du damit?“ „Du hast das doch gehört, was Herr Kunz gesagt hat. Hundert Mark für die Scheibe und zehn für den Glaser. Weißt du, wie viel das zusammen ist?“ „Natürlich weiß ich das!“, entrüstete sich Ben, obwohl er sich mit seiner Antwort noch nicht sicher war. „Ich geh doch schon zur Schule. Zweihundert? Nein, warte, Hundertzehn.“ Strahlend sah er seine Mutter an. „Hundertzehn!“ Sie lächelte nicht einmal. „Hundertzehn Mark...“, seufzte sie. „Wieso bist du darüber so traurig?“, fragte Ben, aber dann fiel bei ihm der Groschen. „Wir haben gar keine hundertzehn Mark!“ „Genau“, sagte die Mutter. „Und das macht mir solche Sorgen.“ „Du musst dir keine Sorgen machen!“, verkündete Ben freudig. „Ich kann das Geld verdienen! Johannes geht jeden Tag zum Bauer und passt auf die Hühner auf. Das kann ich auch machen, dann verdiene ich jeden Tag zehn Pfennige.“ Seine Mutter lächelte und fuhr ihm durchs schwarze, krause Haar. „Ben, ich schaffe das schon irgendwie.“ Er nickte. Einen Moment lang sagte er nichts. Dann: „Mama, wenn ich zum Bäcker gehe und ihm sage, wer seine Fensterscheibe wirklich kaputt geschossen hat, müssen wir das Geld dann nicht mehr bezahlen?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Vielleicht. Wenn du das beweisen kannst.“ Er seufzte. „Ich kann es ihm aber gar nicht sagen, weil ich Johannes sonst verpetze.“ Die Mutter antwortete nicht und starrte in Gedanken versunken in eine Ecke, im Kopf rechnete sie, wann sie die hundertzehn Mark haben würde. „Du Mama“, flüsterte Ben plötzlich sehr leise. „Der Polizist erwischt immer nur mich, nie die anderen. Liegt das vielleicht daran...“ Er senkte die Stimme noch weiter. „Liegt das vielleicht daran, dass ich so ein schmutziges Gesicht habe?“ „Ben“, sagte seine Mutter. „Es heißt nicht schmutzig.“ „Aber die Mutter von Johannes sagt, ich hätte ein schmutziges Gesicht und ich müsste mich nur öfter waschen!“, entgegnete Ben. „Aber es will einfach nicht heller werden.“ „Es wird auch nicht heller werden“, sagte seine Mutter. „Deine Haut ist nun mal so wie sie ist.“ „Wieso?“, wollte Ben wissen. „Das finde ich ungerecht! Ich bin der einzige Mensch hier, der so aussieht. Du hast auch ganz helle Haut, der Johannes auch und alle anderen.“ „Ich weiß, ich weiß. Du kannst nichts dafür. Aber du hast nun mal diese dunkle Haut und die erregt Anstoß.“ Ben fragte: „Was heißt ,die erregt Anstoß‘?“ „Hmm...“ Die Mutter zog ihn zu sich auf den Schoß. „Das heißt, dass deine dunkle Haut auffällt“, antwortete sie ihm schließlich. „Und dass es Leute gibt, die etwas dagegen haben und dich nicht mögen deshalb. Und auch, dass sie sich an dich erinnern und nicht an die anderen, wenn ihr Jungen Streiche spielt. So wie heute der Polizist.“ „Aber ich kann doch nichts dafür!“, rief Ben aufgebracht. „Ich will doch gar kein schwarzes Gesicht haben.“ „Ich weiß, ich weiß...“ Sie seufzte. Dann setzte sie ein Lächeln auf und fuhr ihm durch das Haar. „Ich glaube, wir sollten auf andere Gedanken kommen. Fällt dir irgendwas lustiges ein?“ „Fotos gucken!“, rief Ben wie aus der Pistole geschossen. Seine Mutter lächelte, als hätte sie diese Antwort erwartet. „Na dann!“, rief sie und versetzte ihm einen leichten Klaps. „Holst du den Koffer mit den Bildern vom Speicher?“ Aufgeregt nickte Ben. Er liebte die alten Bilder seiner Mutter; den Großvater hatte sie ihm schon gezeigt, die Großmutter, seinen Onkel und seine Tante mit ihren Kindern, die weit weg in einer großen Stadt lebten. Der Junge schnappte sich die Taschenlampe vom Kaminsims und rannte die Stufen zum Speicher hinauf. Die Holztür knarrte als er sie öffnete. Da stand der Koffer an seinem Ehrenplatz auf dem alten Regal. Schnell nahm er ihn, verschloss die Tür und lief wieder nach unten, wo er den Koffer seiner Mutter in den Schoß legte. „Mach schon auf!“, drängte er ungeduldig. Sie ließ erst den einen, dann den anderen Verschluss aufschnappen. Dann stellte sie den Koffer vor sich und nahm Ben auf den Schoß. Begierig reckte er den Hals um in das Innere des Koffers zu gucken und nahm die ersten Bilder heraus. Er kannte sie, aber das hielt ihn nicht davon ab, sich jedes einzelne genau anzuschauen, als wenn er sich überzeugen wollte, dass sich nichts darauf geändert hatte. Dann legte er den ersten Stapel zurück in den Koffer und nahm den zweiten. Dabei fiel ihm etwas auf. Ein Bild steckte verborgen hinter dem roten Stoff, mit dem der Koffer ausgekleidet war. Er wollte es nehmen, aber plötzlich hielt seine Mutter seine Hände fest. „Mama, was ist?“, fragte er, aber sie antwortete nicht. Stattdessen schob sie ihn von ihrem Schoß und schloss den Koffer wieder. „Mutti, was machst du denn da? Ich wollte doch nur das Foto sehen!“ Seine Mutter erhob sich. „Ben... Die Fotografie sollst du nicht sehen.“ Mit diesen Worten erhob sie sich, um den Koffer wieder auf den Speicher zu bringen. „Das ist ungerecht!“, brüllte er ihr hinterher. „Du bist so gemein!“ Aber sie brachte den Koffer wieder weg auf den Speicher. Dann ging sie in den Garten und achtete nicht mehr auf Ben. Er ging hinauf in sein Zimmer, zornig, über den ungerechten Polizisten Herrn Kunz, über seine Mutter und über die Fotografie, die er sich nicht anschauen durfte. Wusste sie denn nicht, dass er das Foto sehen musste, jetzt wo er darauf aufmerksam geworden war? Ihr war klar, wie sehr er die alten Fotografien liebte. Das musste sie einfach wissen. Stundenlang konnte er manchmal davor sitzen und die Bilder anstarren. Er liebte sie, die Gesichter, die er nie gesehen hatte, aber die ihm so vertraut vorkamen, weil er sie tausendmal schon auf den Bildern angeschaut hatte. Seine Familie – die Tanten, die Großeltern, die Kusinen. Er hatte sie nie getroffen, aber trotzdem kannte er sie. Das war der Grund, wieso er die Fotografien so sehr liebte. Und dieses eine Foto, das seine Mutter ihm nicht zeigen wollte... Ben überlegte. Wenn es so geheim war, dann musste ein besonderer Mensch darauf abgebildet sein. Ein ganz besonderer. Und er durfte das Bild nicht sehen! Das war so ungerecht! Ben vergrub das Gesicht in den Armen und fasste einen Entschluss. Heute Nacht wollte er auf den Speicher hinaufsteigen und es sich anschauen. Nicht nur diese eine Fotografie, sondern alle, die seine Mutter ihm noch nicht gezeigt hatte! Er grinste in sich hinein und schloss die Augen. Ungeduldig wartete er auf den Abend. Die Standuhr in der Stube läutete. Eins. Zwei. Drei. Vier. Ben schlug die Augen auf und seufzte. Er konnte einfach nicht auf die Nacht warten! Es war erst vier Uhr die Zeit verging so langsam! Er stand auf, schlich in das Zimmer seiner Mutter und spähte aus dem Fenster. Da war sie! Mit einer Tasse Tee vor sich saß sie am Gartentisch und hatte sich in ihre Stickarbeit vertieft. Ben setzte sich auf das Fensterbrett und überlegte. Seine Mutter wäre sicher böse auf ihn, wenn sie ihn auf dem Speicher erwischte. Aber andererseits musste er diese Fotografie unbedingt sehen – und außerdem würde sie bestimmt nicht so schnell wieder hereinkommen. Nach ein paar weiteren Sekunden hatte er sich entschieden. Flink sprang er von der Fensterbank und lief die Treppe zum Speicher hinauf. Die Tür öffnete sich knarrend. Einen Moment verharrte Ben auf der Schwelle und lauschte. Nichts war zu hören. Er huschte zum Fenster und zog den Vorhang zurück, sodass das Licht den Speicher erhellte. Da stand der Koffer! So leise wie nur möglich lief er hinüber zum Regal, nahm ihn und stellte ihn auf die Fensterbank. Seine Hände zitterten, als sich die beiden Schnallen mit einem Klicken öffneten. Noch nie hatte er die Fotografien für sich allein gehabt! Immer hatte seine Mutter entschieden, welche Bilder sie ihm zeigte und welche nicht. Doch jetzt konnte er sie endlich alle anschauen. Da waren die Fotos. Ordentlich sortiert lagen sie im Koffer. Wo war nur das Bild, das die Mutter ihn nicht hatte sehen lassen wollen? Ben suchte an der Stelle, wo es vorher versteckt gewesen war, aber da war es nicht. Vielleicht hatte sie es woanders hingetan. Er tastete den roten Stoff ab und durchsuchte den ganzen Koffer. Schließlich fand er das Foto ganz unten unter den anderen. Es war kleiner als die anderen Fotografien, aber es war nicht braun und farblos, sondern rot, blau, gelb, grün. Es war nicht wie die anderen Bilder, es sah wirklich so aus wie die echte Welt – in Farbe. Zwei Menschen waren darauf abgebildet. Seine Mutter erkannte er sofort, aber wer war der Mann, der sie dort in den Arm nahm? Er war groß, dunkelhaarig und er hatte das selbe braune Gesicht wie Ben, nein, noch dunkler. Seine Arme, die er um die Mutter gelegt hatte, waren ebenso schwarz. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Ben die Fotografie an. Er konnte nicht glauben, was er da sah. Es gab noch einen zweiten Menschen, der so eine dunkle Haut hatte. Und seine Mutter hatte ihn gekannt... Wieso hatte sie ihm nichts gesagt? Mit zitternden Fingern drehte Ben das Bild um. Auf der anderen Seite stand etwas mit blauer Tinte geschrieben. Für meine liebe Amanda. Ben brauchte eine Weile, um die kleinen Buchstaben zu entziffern. Von Benjamin Benjamin? Der Mensch, der diese Worte geschrieben hatte, hieß auch Benjamin? Benjamin... Ben... Das ist doch mein Name!, dachte er. „Ben?“ Er wirbelte herum. Seine Mutter stand in der Tür. Ihre Augen blieben an dem Foto in seiner Hand hängen. Jetzt gibt es Ärger! Ben schloss die Augen. Sie sagte nichts. Schließlich öffnete er sie wieder. „Mama?“, fragte er leise. „Wer ist der Mann auf dem Foto?“ Einen Moment lang glaubte er, sie würde ihn anschreien. Doch dann setzte sie sich neben ihn. „Das ist Benjamin.“ Merkwürdig, wie sie den Namen ausspricht!, dachte Ben. Es klang wie „Benschemin“ oder so ähnlich. „Und wieso hat er so ein schmutziges Gesicht?“ „Ben! Das heißt nicht schmutzig.“ „Aber er sieht aus wie ich...“, murmelte Ben. Die Mutter vergrub das Gesicht in den Händen. „Mama?“ „Er ist dein Vater, Ben.“ Darauf war er nicht gefasst gewesen. Verwirrt sah er seine Mutter an, als ob sie einen Scherz gemacht hatte, den er nicht verstand. „Und wieso kenn ich ihn dann nicht?“, fragte er leise. Er hatte sich nie mit dem Gedanken beschäftigt, er könnte auch einen Vater haben. „Weißt du Ben...“ Sie versuchte ein Lächeln. „Es ist nicht leicht für ihn, herzukommen. Er wohnt ziemlich weit weg...“ „In der großen Stadt bei Onkel Franz?“ Die Mutter schüttelte den Kopf. „Noch viel weiter weg.“ „Aber wo?“ „In einem Land, das Amerika heißt.“ „Amerika...“, murmelte Ben. Er hatte schon mal von diesem Land gehört, aber er wusste nicht, wo es war... Nur dass es unvorstellbar weit war bis dorthin. „Und kommt er uns mal besuchen?“, fragte Ben, plötzlich sehr neugierig geworden. „Ich hoffe es immer noch, Ben, aber ich glaube es nicht“, seufzte seine Mutter. „Er ist damals weggegangen und ich vermute mal, er will nicht wiederkommen.“ „Wieso ist er denn überhaupt gegangen?“, fragte Ben. „Und warum will er nicht wiederkommen?“ Seine Mutter überlegte schweigend. Schließlich fragte sie: „Weißt du noch, was du mich vorhin gefragt hast?“ Er dachte nach und schüttelte den Kopf. „Du hast mich gefragt, ob du immer nur wegen deiner dunklen Haut auffällst, richtig?“ Er nickte. „Ich habe dir gesagt, dass dein Gesicht Anstoß erregt, weil es so ist.“ „Und mein Vater hatte das selbe Problem!“, begriff Ben plötzlich und sprang auf. „Deshalb ist er hier weggegangen, nicht wahr?“ Seine Mutter nickte. „Weil seine Hautfarbe Anstoß erregt hat“, überlegte Ben. „Die Leute mochten ihn deswegen nicht und sie haben ihm misstraut?“ Wieder nickte sie. „Und in Amerika ist das nicht so?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Vielleicht.“ „Du, Mama? Können wir irgendwann auch nach Amerika gehen?“, fragte er. „Ich weiß nicht...“, sagte sie leise. „Wenn du größer bist, vielleicht, aber jetzt noch nicht.“ „Hmm...“, überlegte Ben. Dann grinste er. „Weißt du was? Ich schreibe ihm einfach einen Brief. Kann man Briefe nach Amerika schicken?“ „Ich glaube schon...“, sagte seine Mutter. „Aber das kostet viel Geld.“ „Das macht nichts!“, rief Ben und lachte dabei. „Ich passe zusammen mit Johannes auf die Hühner vom Bauer auf, um das Geld zu verdienen.“ „Aber, Ben...“, rief seine Mutter noch, aber er war schon auf der Treppe. Ben stürmte in sein Zimmer und suchte sein Briefpapier und Füllfederhalter. Einen Moment lang schloss er die Augen. Er war nicht so aufgeregt, weil er endlich seinen Vater gefunden hatte, sondern weil es noch einen anderen Menschen gab, der diese Haut hatte. Der auch überall Anstoß erregte. Er war nicht mehr allein. An diesem Abend schrieb Ben den Brief. Lieber Vater.. Wie geht es dir? Ich heiße Ben und ich habe heute dein Bild gefunden. Meine Mutti heißt Amanda und sie hat mir gesagt, dass du mein Vater bist und dass du in Amerika wohnst. Ich habe auch ganz dunkle Haut. Deshalb hat mich der Herr Kunz auch erwischt, als ich einen Ball aus der Bäckerei geholt habe. Er sagt, ich wäre eingebrochen, aber das ist eine Lüge. Obwohl Johannes den Ball geschossen hat, muss Mutti jetzt die Strafe bezahlen. Das ist ungerecht. Hat der Polizist auch immer nur dich erwischt, als du hier im Dorf warst? Ist das in Amerika anders? Wenn ich groß bin komme ich dich mal besuchen. Ben.